Erzieherin mit Kindern in einem Stuhlkreis präsentiert einen gebasteteln Ast

Junge Vor!Denker – Wiedersehen nach 8 Jahren

Ein glitzerndes Puppenkleid, Geld, Blumen, eine versteinerte Muschel – in der Mitte des Sitzkreises liegt eine bunte Auswahl an Gegenständen. Sieben Kinder zwischen 5 und 6 Jahren sind zusammengekommen, um zu philosophieren. Das Thema der Runde: Was bin ich wert?

Rückblick 2011: Das Projekt Junge Vor!Denker

Ich bin im Kindergarten Dorfen, nahe des Starnberger Sees. Das letzte Mal war ich vor ziemlich genau 8 Jahren hier, am 27. und 28. Mai 2011. Damals haben Evi Witt-Kruse und ich hier eine Fortbildung durchgeführt: Das letzte Modul des Pilotprojektes „Junge Vor!Denker! – Philosophieren über Nachhaltigkeit“. Zu Beginn des Projekts wusste eigentlich noch niemand so genau wie das geht, Philosophieren über Nachhaltigkeit. Im Raum stand die Frage, wie man die philosophische Haltung des „Ich weiß, dass ich nicht weiß“ mit dem notwendigen Wissen, das eine Bildung für nachhaltige Entwicklung beinhaltet, zusammenbringen kann. Und wie wir den Teilnehmenden der Grundschule Icking und der Kindergärten Icking und Dorfen Wissen über Nachhaltigkeit vermitteln können, ohne selbst ins Dozieren zu kommen und den Zeigefinger zu erheben.

Zusammen mit den Erzieher*innen und Lehrkräften des Pilotprojekts haben wir jedoch einen Weg gefunden. Wir haben uns überlegt, welche Rolle die Haltungen des Philosophierens wie Achtsamkeit, Neugier, Offenheit für die Vermittlung von Wissen spielen. Wir haben weiterführende philosophische Fragen formuliert, die es ermöglichen, dieses Wissen im philosophischen Gespräch zu reflektieren. Und wir haben gemeinsam Ideen entwickelt, wie die Erkenntnisse der Kinder ins Handeln übersetzt werden können. Auf diesen drei Säulen – Wissen über Nachhaltigkeit, Reflexion im Gespräch, Handeln – ruht die Zusatzausbildung Junge Vor!Denker auch heute noch. Immer verknüpft mit der Hoffnung, dass daraus eine Haltung entsteht, die Kindern eine Grundlage bietet für nachhaltiges Handeln. In ihrem Alltag heute, aber auch für ihr späteres Leben.

Philosophieren heißt, von Herzen zu sprechen

Ulrike Schwarz, die Leitung des Kindergarten Dorfen und ihre Kollegin, Jana Dyck, haben damals am Pilotprojekt Junge Vor!Denker teilgenommen. Und sie sind dabei geblieben. Für Ulrike sind die philosophischen Gespräche mit den Kindern nicht mehr wegzudenken. Sie schätzt am Philosophieren vor allem, das es die Gemeinschaft stärkt und den Kindern hilft, in Beziehung zu bleiben: „Das Philosophieren gibt den Kindern die Möglichkeit, von Herzen zu sprechen. Sie lernen, auch vor anderen Kindern zu sagen: So geht es mir. Das denke ich.“

Ich bin heute eingeladen und freue mich zu sehen, was sich in den letzten 8 Jahren getan hat. Zum Einstieg in die philosophische Runde dürfen sich die Kinder aus dem Kreis einen Gegenstand nehmen, den sie besonders wertvoll finden. John nimmt sich die Geldscheine. „Warum ist das Geld für dich besonders wertvoll?“ will Ulrike, die das Gespräch leitet, wissen. „Damit kann man die Lebensmittel kaufen!“. Julia hat sich Blumen genommen. „Blumen sind wertvoll, weil sie schön sind. Sie geben Luft. Und die Bienen brauchen sie.“ So geht es reihum. Ein Mädchen nimmt sich einen Stern, weil Sterne so schön glitzern, ein Junge ist fasziniert von einer versteinerten Meeresschnecke: „Die ist so schön glatt.“

Glitzerkleid oder Blume – Was ist wertvoll?

„Was bin ich wert?“ fragt Ulrike schließlich in die Runde und legt eine Hand auf sich. „Was seid ihr wert?“ Die Kinder überlegen eine Weile. Etwas zu sagen, traut sich noch niemand. Ulrike probiert es nochmal mit einer anderen Frage: „Was seid ihr wert für eure Mama und euren Papa?“ „Das Wichtigste!“, ruft John sofort und andere Kinder nicken. „Was ist denn wertvoll an dir?“, will Ulrike weiter wissen. „Was steckt in dir?“

Julia: „Mein Herz.“

Kannst du das noch genauer sagen, was du damit meinst? Vielleicht kann dir auch jemand helfen?
Luis: „Ja, die Freundschaft!“
Emelie: „Ich weiß noch was. Die Liebe.“

„Die Liebe macht einen wertvoll. Wenn man weiß, man wird geliebt?“
Ja.

Kasper, du hast doch Kälber. Bist du für deine Kälber auch wertvoll?
Kasper: Ja.

Warum?
Kasper: Die geben Milch. Ich gebe ihnen Futter.

Wie fühlt sich das an, wenn ich merke, ich bin etwas besonderes, ich bin wichtig für die Mama, für die Freundin, für die Tiere?
Julia: Im Herz. Das fühlt sich gut an.
John: Das Herz ist wichtig zum Leben.

Was ist das denn, wertvoll sein?
Luis: Ich finde die Tiere wertvoll.
Emelie: Die Schätze
Julia: Die Sterne für mich, weil die so schön funkeln und der Mond hilft mit.

Meinst du, dass die Natur noch wertvoller ist als die Schätze? Oder auch wertvoll?
Luis: Die Natur. Und die Bäume. Und alles, was es auf der Welt gibt.
Julia: Ich finde die Familie wertvoll.
Emelie: Ich finde wichtig, dass alle glücklich sind.
Kasper: Ich finde Fernseher und Handy nicht so wichtig.
Julia: Ich finds auch wertvoll, dass man Freunde hat und viel Glück.

So beginnt das Gespräch zur Frage: „Was bin ich wert?“. Ulrike fordert immer wieder Begründungen ein, will etwas genauer wissen, fragt nach anderen Meinungen. Was sie nicht macht, ist zu werten. Am Ende des Gespräches soll nicht stehen, dass die Natur wertvoller ist als Schmuck. Oder die Familie ein höheres Gut als ein großes Auto. Auch die Meinung, dass das Glitzerkleid am wertvollsten ist, einfach, weil es so schön ist, darf stehenbleiben. Ulrike ist genau das wichtig: „Beim Philosophieren spüren die Kinder: ich bin selbstwirksam und meine Meinung wird respektiert. Es gibt Kinder, die sind dann der gleichen Meinung, andere hören nur zu. Wieder andere sind dagegen und lernen: ich kann das aushalten, denn es ist wichtig zu sagen was aus dem Herzen kommt.“ Beim Philosophieren, so Ulrike, lernen die Kinder über ihre Gefühle nachzudenken. Und eigene Lösungen zu finden. „So eine Gemeinschaft macht stark für die Schule.“

Die Jungen Vor!Denker heute

Seit den Anfängen des Projektes hat sich viel getan bei den Jungen Vor!Denkern: Im letzten Jahr wurde das Projekt mit dem Qualitätssiegel Umweltbildung.Bayern ausgezeichnet. Die Fortbildungsreihe wird regelmäßig in München und in Niederbayern durchgeführt, hier durch unseren Kooperationspartner, die Hans Lindner Stiftung. Momentan läuft außerdem eine Reihe im Nationalpark Schwarzwald und im Naturerlebniszentrum Burg Schwaneck, die vom Kreisjugendring München-Land und dem Ökoprojekt MobilSpiel e.V. in Kooperation mit uns angeboten wird.

Die nächste Zusatzausbildung „Philosophieren über Zukunftsfragen und Themen der Nachhaltigkeit“ startet am 9. und 10. November bei uns in München.

 

Autorin des Beitrags: Diana Schick

 

Was hinter Flyern steckt – Mein Praktikum bei der Akademie

Öffnet man den Flyer des Werte.Dialog.Integration Projekts der Akademie für philosophische Bildung und Werte Dialog, erfährt man sogleich, dass „die Akademie spezielle Formate des philosophischen Dialogs für verschiedene Zielgruppen als fruchtbare Möglichkeit der Auseinandersetzung über verschiedene und gemeinsame Wertvorstellungen – und über gängige Grenzen im Kopf hinweg“ entwickelt. Aber wie genau kann man sich diese fruchtbare Möglichkeit der Auseinandersetzung vorstellen? Flyer müssen gut ausschauen und vielversprechend klingen, aber was steckt dahinter?

Ich hatte die Gelegenheit einen Blick hinter die Worte des Flyers zu werfen und die Arbeitswelt der PhilosophenInnen mitzuerleben. Als Praktikantin durfte ich unter anderem Julia Blum-Linke bei einem Auftrag des bfz Augsburg unterstützen. Sie wurde gebeten für zwei der dortigen Berufsintegrationsklassen einen dreiteiligen Workshop zu gestalten, der zum einen der Wertebildung dient und zum anderen den Schülern hilft sich selbst besser kennenzulernen. Nach einigem Brainstorming und vielen verworfenen Ideen stand schließlich das Konzept: 1) Was ist wirklich wichtig im Leben? 2) Wer bin ich? Wer will ich sein? 3) Wie treffe ich wichtige Entscheidungen? Die Workshops wurden jeweils in den Klassen durchgeführt und ich hatte die Möglichkeit an einem der ersten Workshops und bei beiden Durchführungen des zweiten Workshops teilzunehmen und mitzuwirken.

 

Wofür brauchen wir den Wertedialog?

„Es muss einen tiefergehenden Dialog […] geben, über das was eine Gemeinschaft trägt, was sie zusammenhält und wohin sie sich bewegen will.“ Um das herauszufinden, muss ich als Teil der Gesellschaft wissen, wer ich bin, was mir wichtig ist und wohin ich will. Im ersten Workshop konnten die Schüler sich überlegen, was ihnen wirklich wichtig ist. Jeder sollte eine Sache für sich finden und bei einem anschließenden Austausch in einer kleinen Gruppe, sollte eine Wertehierarchie aufgestellt werden – Was ist uns am wichtigsten?

Zurück in der ganzen Gruppe zeichnete sich folgendes Bild: Mehrere Gruppen waren zu dem Ergebnis gekommen, dass Gesundheit und Familie das wichtigste in ihrem Leben sei. Auch genannt wurde Liebe, Mut, Reisen, Mutter. Gemeinsam einigten wir uns darauf über darüber zu philosophieren, was Familie eigentlich ist und fanden Stichworte wie Kraft, (Selbst)vertrauen, Unterstützung, Liebe, Trost, Respekt, Verantwortung, Liebe… und philosophierten weiter über diese. Auch der zweite Workshop ergab eine spannende Bandbreite an Gedanken zum Ich: Von einfacheren Merkmalen des Ichs wie Name, Alter, Herkunft, Beruf, Status, über Beziehungen in Familie und mit Freunden und (Selbst)vertrauen bis hin zu der Überlegung, was einen guten Charakter auszeichnet (Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Aufrichtigkeit…) und zu Hoffnung, Träumen und Glauben, die die Kraft geben Ziele zu erreichen.

Die philosophische Gesprächsleitung

 „… vertieft das Gespräch durch Nachfragen, gibt Denkanstöße und motiviert, genau hinzusehen, bewusst zuzuhören und öfter nachzufragen.“  Diese Beschreibung klingt auf das erste Lesen sehr viel leichter als es ist. Vor allem wenn von keinem der Teilnehmer Deutsch die Muttersprache ist. Ich war beeindruckt von der Leichtigkeit, mit der Julia den Überblick behielt, Impulsfragen so stellte, dass Gedanken weiter entwickelt wurden und neue Perspektiven entstanden. So warf sie beispielsweise, als wir bei dem Thema Respekt angelangt waren, die Frage auf, ob man seinen Lehrer auf die gleiche Weise respektiert wie seinen Vater. Nachdem die Schüler über diese Frage nachgesinnt hatten, fiel ihnen auf, dass einige der Werte, die wir in Bezug auf die Familie gesammelt hatten, auch für andere Lebensbereiche gültig sind.

Weiter vorne im Flyer heißt es außerdem: „Die Gesprächsleitung schafft die Bedingungen dafür, dass den verschiedenen Ansichten mit Respekt und Wertschätzung begegnet werden kann.“ Zu dem einfühlsamen, aufmerksamen Umgang mit den Teilnehmern fallen mir zwei einprägsame Beispiele ein. Zum einen führten wir zu Beginn des zweiten Workshops als Einstieg eine Übung durch, bei der jeder drei Fähigkeiten und Talente aufschrieben sollte, die er sowohl charakterlich als auch im schulischen Bereich an sich findet. Einer der Jungen saß unmotiviert da und schrieb Nichts auf. Als Julia ihn fragte, warum das so sei, meinte er: „Ich kann nichts wirklich gut.“ Daraufhin nahm Julia ihn zur Seite und stellte ihm während der restlichen Übung Fragen, die ihm halfen nun doch ein paar Punkte aufschreiben zu können. Das zweite Beispiel war ein Kompliment, das die dortige Lehrerin, die ebenfalls am Workshop teilnahm, Julia zusprach. In der Gruppe war ein Junge, der sehr unruhig war und hin und wieder unangemessene Beiträge brachte. Die Lehrerin meinte zu Julia, dass es schön sei, wie sie den Jungen in seiner Art annahm und ihm Raum gab, er selbst zu sein und gleichzeitig seinen Fokus auf das Gespräch lenkte.

 

Ein Gespräch als Ort der Begegnung

„Der Wertedialog kann als Ort verstanden werden, an dem sich die Menschen kennen lernen – sich selbst und ihr Gegenüber. Hier gibt es die Möglichkeit, eigene Haltungen und Standpunkte zu prüfen, Gedanken laut zu formulieren, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln.“ Das das philosophische Gespräch ein Ort ist, an dem sich die Teilnehmenden besser kennen lernen wird vielfach bestätigt, auch hier wieder. In der Abschlussrunde, meinten die Lehrer, dass sie an ihren Schülern neue Seiten entdeckt hätten und auch die Schüler ließen verlauten, dass es interessant war, die Perspektiven der Anderen zu sehen und sie nun besser verstehen könnten, wie der jeweils andere tickt. Ein Beispiel hierfür ergab sich aus der Frage nach Respekt. Eine Schülerin erklärte, dass sie Andere erst dann respektiert, wenn sie ihr mit Respekt begegnen, wird sie nicht respektiert, respektiert sie auch niemanden. Die Meinungen darüber waren gespalten: Muss mich der Andere wirklich zuerst respektieren? Allerdings erklärt die Sichtweise der Schülerin ihr Verhalten und macht es den Anderen eventuell leichter sich auf sie einzulassen.

Wenn das philosophische Gespräch ein Ort der Begegnung ist, dann muss auch Raum für persönliche Erfahrungen sein. Im Flyer heißt es: „Lebenswelt, Erfahrungen und Sichtweisen der Teilnehmenden geben den Anlass zum Gespräch und bieten Raum für die großen Fragen an die Gemeinschaft und an das Leben.“ Für diese Erfahrung gibt es zahlreiche Beispiele, aber eine ist mir besonders ans Herz gegangen. Ein Junge meinte, dass er niemandem mehr vertraut. Er erklärte, das dem so sei, weil seit er in Deutschland ist, alle immer gesagt hätten: Vertrau uns! Mach dieses und jenes. Vertrau uns, wir holen deine Familie her. Allerdings hat er mit dem Vertrau-uns der Behörden nur schlechte Erfahrungen gemacht. Er nannte uns auch ähnliche Beispiele aus seinem Privatleben. Das Fazit seiner Erlebnisse war also, dass Vertrauen etwas schlechtes ist. Im weiteren Gesprächsverlauf ergab sich jedoch noch eine andere Perspektive. Die die Teilnehmenden stellten fest, dass Vertrauen wichtig ist für den Umgang miteinander und für das Leben. Außerdem bemerkte jemand, dass der Junge ja doch ein Stück Vertrauen in die Anderen Gruppenmitglieder haben müsse, da er sonst gar nichts von sich erzählen würde.

 

Ich als Praktikantin

Am Ende meines Praktikums kann ich festhalten: Die Akademie hält alles was sie in Flyern und auf der Homepage verspricht. Sowohl in Bezug auf das Werte.Dialog.Integration Projekts, als auch bei der philosophischen Berufsorientierung, als auch bei den Fortbildungen. Und selbstverständlich auch hinsichtlich des Praktikums. Ich hatte Gelegenheit in allen Bereichen der Akademie mitzuarbeiten – Fortbildungsorganisation, Workshopkonzeption, philosophische Berufsorientierung, Öffentlichkeitsarbeit… – und durfte an Fortbildungen und Workshops teilnehmen.

 

Vielen Dank für diesen Beitrag an Theresa Kern – und alles Gute für deinen weiteren Lebensweg!

Dorfgespräch zeigt Menschen die in Kleingruppen miteinander reden in einem Veranstaltungssaal

Dorfgespräch in Amerang

Angenehm. Anders. Amerang. Weil Amerang so angenehm anders ist, waren wir am 26. März zu einem Dorfgespräch dort, um mit den Bewohnern des Ortes über die Werte zu Philosophieren, die für das dörfliche und europaweite Zusammenleben zentral sind. Dieses Zusammentreffen entstand vor dem Hintergrund der Kooperation mit unserem Wertebündnispartner ‚Dorfgespräch!‘, der einen Austauschabend zu dem Thema ‚Europa und ich‘ in Amerang organisiert hatte.

Nachdem sich etwa 40 Bürger im Pfarrsaal der Gemeinde versammelt hatten, begann der Abend mit einem Speeddating, bei welchem unterschiedliche Fragen in Bezug auf Amerang und Europa im Mittelpunkt standen. Dabei waren viele Stimmen zu hören. Es wurde deutlich, dass es den Bürgern von Amerang wichtig ist, dass es in Europa keine Grenzen gibt, dass wir frei sind, das der Frieden wegweisend ist und Vielfalt und Hilfsbereitschaft bedeutsam sind.

Nach diesen ersten, kürzeren Dialogen bekam jeder Einzelne die Aufgabe, sich zu überlegen, welcher Wert für das Zusammenleben der wichtigste sei. Anschließend wurden Gruppen gebildet, um sich über die gefundenen Werte auszutauschen und diese zu hierarchisieren. Mit dem Wert, der auf Platz Nummer Eins gelandet war, versammelten sich die einzelnen Gruppen wieder im großen Sitzkreis und erklärten, wie sie zu ihrem wichtigsten Wert gekommen waren und bildeten auch hier wieder eine Rangordnung. Das Ergebnis waren folgende Werte: Toleranz, Solidarität, Empathie, Wertschätzung und Gleichheit vor dem Gesetz.

Im Anschluss daran gingen wir gemeinsam der Frage nach, was Toleranz eigentlich ausmacht. Dabei stießen wir auf viele weiterführende Fragen:  Reicht Toleranz aus oder ist sie zu passiv im Sinne von Dulden? Ist Solidarität für unser Zusammenleben nicht wichtiger, da sie den Fokus mehr auf Aktivität und Eigenverantwortung legt? Ist Toleranz vielleicht immer dann einfach, wenn man von Menschen umgeben ist, die einem ähnlich sind? Sind wir in unseren Vorstellungen von Toleranz immer ehrlich? Handeln wir oft anders, als wir es vorgeben zu tun?

Nach dieser intensiven Runde wurde es wieder praktisch und alltagsbezogen: in kleineren Gruppen wurden Ideen gesammelt, wie die diskutierten Werte bei einer öffentlichen Aktion am 5. Mai im Zentrum Amerangs gelebt werden könnten. Die Überlegungen reichten von Speakers‘ Corner über eine lange Tafel mit Mitgebrachtem, offener Bühne und Europaquiz bis hin zu europäischen Spuren in Amerang und Dorfgeschichten über die Vielfalt Amerangs. Ein Organisationsteam wird nun konkrete Ideen weiter verfolgen. Wer gespannt ist, auf die Umsetzung der Ideen ist herzlich zum nächsten Dorfgespräch am 5. Mai eingeladen, das zwischen 12 und 16 Uhr im Freien hinter der Amerganger Kirche statt.

Abschließend hatte jeder die Möglichkeit ein persönliches Fazit zu äußern. „Im Kries sind wir alle nebeneinander“ „Sich näherkommen und miteinander beschäftigen“ „Toleranz ist Duldsamkeit, das Gegenstück ist Leibe.“ „Manchmal ist es schmerzlich tolerant zu sein.“

 

Video zum Dorfgespräch

Jugendliche in einem Reisebus

Was an Deiner Arbeit erfüllt Dich mit Sinn?

Berufsorientierung. Das sah bei mir so aus: Ich habe einen Test im Arbeitsamt ausgefüllt und hinterher eine Liste mit möglichen Berufen ausgespuckt bekommen. Dass Berufsorientierung im Grunde genommen Lebensorientierung ist, das kam nie zur Sprache.

Bei der „Ausbildungstour“ des Landratsamtes München, die in Kooperation mit der IHK durchgeführt wurde, stand aber genau dieses Thema im Vordergrund. Auf der Agenda: Große Fragen des Lebens. Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Wie finde ich einen Beruf, der zu mir passt? Was macht eine gute Entscheidung aus? Unsere Kollegin Dr. Theres Lehn und Referentinnen der Akademie philosophierten mit den 30 Schülerinnen und Schülern im Vorfeld über diese Fragen. Erst danach ging die Bustour los.

Die Stationen: Der Isarland Biohandel, der Brauereigasthof Ayingen, Develey, die NH Hotels, die Auto Schmid GmbH und die Fritzmeier Group. Sie alle öffneten ihre Türen und standen für Gespräche zur Verfügung. Auch die Fragen an die Mitarbeiter wurden in den philosophischen Workshops vorbereitet. Und so ging es nicht nur darum, welche Ausbildungsplätze angeboten werden. Die Jugendlichen wollten auch wissen: Was an Ihrer Arbeit erfüllt Dich mit Sinn? Zweifelst Du manchmal an Deiner beruflichen Entscheidung? Was ist Erfolg für Dich? Philosophiert wurde dann auch noch, ganz gemütlich im Gasthof. Was zeichnet einen guten Vorgesetzten aus? Und was einen guten Mitarbeiter? Ganz oben auf der Liste: Offenheit, Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft.

 

Zum Abschluss konnten die Schülerinnen und Schüler ihre Eindrücke kreativ umsetzen. Christine Auerbach vom Bayerischen Rundfunk und Marek Bartos, IT Entwickler und Referent der Akademie, arbeiteten mit ihnen an Texten über ihre Zukunft. Getextet wurde spontan, schnell und witzig: Wo ist dein Nachbar in 10 Jahren? Wie sieht die Zukunft eines Gegenstandes aus dem Rucksack deines Nachbarn aus? Erzählt wurde aus der Ich-Perspektive: Von Alleinerziehenden, Multimillionären, Plastikflaschen, die im Ozean schwimmen und Himbeeren – die 1,2,3 weg sind. Anschließend ging es dann um die eigene Zukunft. Auf dem Mars. Die Verfremdung half, die Sicht auf die eigene Zukunft nochmal neu zu denken. Ziel der Übung: Einen philosophischen Text über das eigene Leben und den Beruf zu schreiben. Diesen vortragsreif auszuformulieren, dazu reichte die Zeit nicht. Aber ein Anfang ist getan und der Anreiz ist da, die Texte fertig zu kriegen. Am 28. März sollen die drei besten Beiträge auf der ersten regionalen Ausbildungsmesse im Landkreis München in Form eines „Philosophy – Slams“ vorgestellt und prämiert werden.

Berufsorientierung ist Lebensorientierung. Wenn ihr wissen wollt, wie so ein „Slam-Text“ über das Leben und die Zukunft aussehen kann: der Text „One Day“ von Julia Engelmann aus dem Jahr 2013 ist immer noch eine Inspiration. Und welche Geschichten werdet ihr euch erzählen?

 

Beitragsbilder: IHK München und Oberbayern

 

Autorin des Beitrags: Diana Schick

 

Abbildungen von Körperteilen auf einer Pinnwand

Gibt es sie noch, die verbindlichen Werte?

In der Akademie für Politische Bildung am Starnberger See haben wir am 23. Februar einen besonderen Nachmittag verbracht: Im Workshop „Bildung für die Demokratie“ haben 16 TeilnehmerInnen mit uns intensiv über die Frage nach den verbindlichen und grundlegenden Werten einer Demokratie, unserer Demokratie, geforscht. Der Kurs fand statt auf Einladung der Akademie für Politische Bildung, die als Partner von Street Philosophy das Rahmenprogramm zur Bildungskonferenz „Beyond Knowledge“ gestaltet hat. Organisiert hatte diese Konferenz das starke Frauen-Duo Julia Kalmund und Nina Schmid im Literaturhaus. Es waren kluge Menschen geladen, wie der Philosoph und Autor Richard David Precht, die Kriegsfotografin Julia Leeb, Astrophysiker Harald Lesch oder Philosophin und Autorin Ariadne von Schirach u.v.m., die über die Themenverkettung „Bild, Bildung, Menschenbildung“ sprachen. Nina Schmid moderierte mit Tiefsinn, poetischer Kraft und offenem Herzen (man kann es einfach nicht anders sagen).

 

Unser Einstieg in den Workshop-Nachmittag begann denn auch mit Zitaten aus der Konferenz:

„Wir sind beim Lernprozess von der Schallgeschwindigkeit zur Lichtgeschwindigkeit übergegangen.“ – Harald Lesch

„Schule kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme auffangen durch immer neue Angebote!“ – Aga Trnka-Kwiecinski

„Wir brauchen nicht leistungsfähige, sondern beziehungsfähige Kinder. (…) Bildung ist Emotionalität. (…) Wir lernen und erinnern durch Emotionen.“ – Aga Trnka-Kwiecinski

„Bilder verbinden Fakten mit Gefühlen. (…) Bilder haben was mit Bildung zu tun.“ – Julia Leeb

„Der Mensch ist (im Gegensatz zur KI) natürlich, emotional, fiktionsbedürftig, moralfähig. (…) Kreativität bedeutet nicht Problemlösung.“ – Richard David Precht

„Wir sind Wesen, die sich selbst gestalten.“ – Ariadne von Schirach

 

Welche Fragen wir erarbeitet und über welche Werte wir philosophiert haben, das hat dankenswerterweise Julia Kalmund bereits zusammen gefasst und veröffentlicht: https://street-philosophy.de/bildung-fuer-die-demokratie/ . Aber nicht nur deshalb ist der Blog von Nina Schmid und Julia Kalmund unbedingt lesenswert , es lohnt sich immer wieder, einen Blick hinein zu werfen! Vielen Dank an StreetPhilosophy für die Einladung und den bericht – wir freuen uns auf weitere gemeinsame Aktivitäten!

Der Titel der nächsten Konferenz von Street Philosophy lautet übrigens: „Beyond Ideology“ – wir sind gespannt.

Julia Blum-Linke

 

Schüler Johannes Ebner hält eine rede mit Mikrofon

Ohne Werte wären wir Maschinen.

Diese Erkenntnis nahm eine Schülerin der 8. Klasse aus den philosophischen Gesprächen rund um das Thema Werte mit. Sie ist eine von rund 170 ausgewählten Schülerinnen und Schülern, die in Bayern zu Wertebotschaftern ausgebildet werden. Die Ausbildung ist Teil der Initiative „Werte machen Schule“ des Kultusministeriums Bayern. Mehrere Partner, darunter auch Lehrkräfte und Medienpädagogen, sind an der einwöchigen Schulung beteiligt. Die ersten Workshops fanden in Niederbayern, Schwaben und Oberfranken statt.

Fast zwei Tage haben wir jeweils mit den jungen Wertebotschaftern verbracht. Wir haben mit ihnen darüber philosophiert, was eigentlich ein Wert ist und welche Werte in ihrem Leben eine Rolle spielen. Egal ob daheim, mit Freunden, in der Schule oder in der Gesellschaft. Und natürlich ging es auch um die Frage: Was ist mir persönlich wirklich wichtig? Und auf welcher Wertebasis treffe ich meine Entscheidungen? In einem Workshop erprobten die Schülerinnen und Schüler dann ihre demokratischen Kompetenzen. Die Aufgabe: Einen Konsens finden und sich auf gemeinsame Werte einigen. Gar nicht so einfach. Festgehalten wurden die Ideen und Erkenntnisse der Jugendlichen in Fotografien und in der Vision einer „Idealen Schule der Werte“. Für die Jugendlichen war dieser Teil der Ausbildung ein wichtiger Baustein auf ihrem Weg zum Wertebotschafter. Ihre Erkenntnisse haben die Jugendlichen für sich und andere festgehalten:

„Man kann die Persönlichkeit erst richtig entfalten, wenn man Menschen hat, die einem zuhören.“

„Werte sind wie ein Netz, das uns zusammenhält und uns Zusammenarbeit ermöglicht.“

„Wenn wir keine Werte hätten, wären wir Maschinen, aber keine Menschen. Wir würden nur funktionieren. Werte machen uns menschlich!“

„Wir brocken uns das ja selbst ein, dass wir beeinflusst werden von Social Media und Menschen, die gar nicht so sind, wie sie sich darstellen.“

„Werte können sich verändern, es muss nicht immer alles gleich bleiben – das habe ich für mich erkannt.“

Die Ausbildung zum*zur Wertebotschafter*in

Über die Ausbildung zum Wertebotschafter sollen die Jugendlichen Basiskompetenzen zu Wertebildung, Kommunikationsfähigkeit und Teamführung erwerben. Vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen wie dem digitalen Wandel, Extremismus, Gewalt und Fake News wird den Schülerinnen und Schülern ein starker ethischer Kompass als Richtschnur für ihr Handeln mitgegeben. Ziel ist es, dass sich die jungen Menschen aktiv für ein Miteinander in der Gesellschaft engagieren, das von Respekt und Zivilcourage geprägt ist. Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten sollen sie anschließend an ihre Mitschülerinnen und Mitschüler weitergeben.

Die nächsten Wertebotschafter-Wochen finden im Schuljahr 2019/2020 in Oberbayern, Unterfranken, Mittelfranken und in der Oberpfalz statt.

Foto links und Beitragsbild: Andreas Gebert

Zwerg sitzt auf Miniatur-Couch

Pop-up-Philosophie: Das FiloSofa stellt sich vor

Das war mein Traum: Auf einem Sofa sitzen und mit Menschen, groß und klein, zu philosophieren. Was ist daraus geworden? FiloSofa. Im Sommer 2018, nachdem ich bereits die ersten Module an der Akademie besucht hatte, kaufte ich mir ein gebrauchtes Sofa und legte los.

Bisher stand es im Grünbereich eines Jugendzentrums und auf dem Marienplatz in Freising. Weil das Sofa doch ganz schön groß und schwer ist, und nur 3-4 Menschen gleichzeitig darauf Platz nehmen können, gibt es seit dem Herbst 2018 auch noch die Puppensofa-Variante. Die kann überall hin mitgenommen werden und auf ihr hat sogar ein Denkzwerg Platz genommen, der gerade den Kleineren beim Denken helfen kann. Dieses kleine FiloSofa stand in Freising nun schon im Alten Gefängnis, in der Stadtbibliothek und in einem Kindergarten. Ab und zu ist es auch in der Fachakademie für Sozialpädagogik in Freising dabei, wo ich den angehenden Erzieher*innen in einem Wahlfach das Philosophieren mit Kindern näher bringe.

Mit Kindern über Wahrnehmung und Wirklichkeit philosophieren?

Es ist schön zu sehen, mit welcher Begeisterung gerade die Kinder sich zu den Themen Glück, Freundschaft, Natur sowie Wahrnehmung und Wirklichkeit äußern. Moment mal, philosophieren wir über Wahrnehmung und Wirklichkeit mit Kindern? Ja! Das Buch „Alle sehen eine Katze“ ist ein grandioser Einstieg, um z.B. darüber zu sprechen, ob es „die eine Welt“, „die eine Katze“ gibt oder ob jeder seine eigene Version hat…. Und wovon es abhängt, wie wir die Dinge sehen – eine Maus hat vielleicht ein anderes Bild von einer Katze als ein Hund. Ganz nebenbei lernen die Kinder auch noch, dass Regenwürmer nicht sehen, sondern Bewegungen wahrnehmen können oder wie Bienenaugen gestaltet sind. In unserem Fall entstand dann auch noch ein Gespräch darüber, was eine Katze zur Katze macht. „Alle sehen eine Katze“ – eine absolute Empfehlung!

Lediglich beim Thema Zeit erlebte ich zusammen mit meiner Gruppe von Studierenden der Fachakademie einen zurückhaltenderen Nachmittag. Ist das Thema also schlecht geeignet? Keinesfalls. Aber die Kombination aus eher ruhigen, jüngeren Kindern, die sich noch nicht kennen, anwesenden Erwachsenen und keine Vorerfahrung im Philosophieren waren Stolpersteine. Interessanterweise fanden die Kinder den Nachmittag trotzdem sehr schön, vielleicht auch, weil sie wirklich einfach in Ruhe ihren Gedanken nachhängen konnten. Beim Ausmalen von Sanduhren konnten sie auch nochmal deutlich sehen, was Vergangenheit ist und was Zukunft.

Pop-up-Philosophie

– so nenne ich das, wenn ich irgendwo hingehe zum Philosophieren – birgt gerade mit Erwachsenen das Risiko, dass mehr diskutiert wird, die Offenheit verloren geht und die eigenen Erfahrungen eine sehr dominante Rolle spielen. Und ich merke, dass viele es ungewöhnlich finden, dass es kein Richtig oder Falsch gibt, dass man tatsächlich seinen ganz eigenen, vielleicht sogar nur vorläufigen Standpunkt finden darf.

Andererseits macht es mich glücklich, wenn sich so viele Kinder auf das Sofa setzen, dass ich am Boden davor Platz nehmen muss und sie sogar ihre eigenen Themen mitbringen. Wenn sie sich bedanken, dass sie endlich Zeit und Raum für „richtige“ Gespräche haben. Wenn sie mich fragen, wann ich wieder komme. Und auch, wenn sie mit Fragezeichen in den Augen nach Hause gehen, weil sie sich doch nicht 100% sicher sind, ob das jetzt immer dieselbe Katze war oder nicht? Und wo die Zeit genau hingeht, wenn sie vorbei ist? Und wem die Welt nun wirklich gehört? Und was es für sie bedeutet, glücklich zu sein. Oder eine Freundin. Oder mutig.

Was wünsche ich mir für die Zukunft? Viele FiloSofas auf der ganzen Welt, wo sich alle Menschen treffen können, um in Frieden über die großen und kleinen Fragen philosophieren zu können.

Ein Gastbeitrag unserer ehemaligen Teilnehmerin Katharina Maas. Infos und Kontakt auf www.filosofa.de

Kaktus neben Luftballon

Nur heiße Luft? – Wie frage ich richtig nach

Wann frage ich wie nach?

Im Mai geht unser Aufbaumodul „Vertiefend Weiterfragen“ in die zweite Runde. Zweifeln, argumentieren, mit Gedanken spielen: Die Geschichte der Philosophie ist voller Methoden des Denkens. Diese Methoden für ein Gespräch in der Gruppe zu nutzen, ist allerdings nicht ganz einfach. Schließlich besitzt jedes Gespräch seine eigene Dynamik.

Wann frage ich wie nach? Diese Frage zu beantworten ist daher die große Aufgabe, vor der wir als Moderatoren stehen. Mit etwas Theorie und viel praktischer Übung wollen wir in unserem Aufbaumodul Antworten finden.

Einige der Methoden stellen wir euch aber heute schon vor, zum Beispiel…

  1. Die Perspektive wechseln
    Es ist im philosophischen Gespräch von Vorteil, möglichst viele verschiedene Perspektiven einzubeziehen. Wenn sich das jedoch nicht aus dem Gespräch selbst ergibt, können Fragen hilfreich sein, die auf andere Vorstellungen, Kulturen, Zeiten abzielen und so zumindest einen gedachten Perspektivwechsel erlauben.

    Zum Beispiel:
    Gilt das für jeden Menschen? Ist das überall auf der Welt so? War das immer so, zu jeder Zeit?
    Auch andere oder gänzlich unbekannte Perspektiven können eingenommen werden:
    Wie würde das ein Kind, ein Höhlenmensch, ein Fisch, eine Pflanze, ein Alien etc. sehen/wahrnehmen?
    Bei moralischen Fragen, bei Streitfragen kann man die Teilnehmer bspw. aber auch auffordern, Argumente für die Gegenseite zu finden.

  2. Gedankenexperimente
    Sehr beliebt, um den Blick für andere Möglichkeiten zu öffnen, sind in der Philosophie (und nicht nur dort) Gedankenexperimente. Ihr Grundmuster kann auf die Formel „Was wäre, wenn…?“ gebracht werden. Eine einfache und gerade für Gespräche wirkungsvolle Form des Gedankenexperiments ist die „Fiktive Nichtung“, also bspw. „Was wäre, wenn es keine Freundschaft gäbe?“, „Was wäre, wenn niemand mehr die Wahrheit sagen würde?“

    Es gibt aber natürlich auch komplexere Gedankenexperimente:
    Eines der wohl bekanntesten ist Robert Nozicks „Glücksmaschine“. Dieses geht der Frage nach, ob das ewige Glücklichsein der höchste erstrebenswerte Zustand ist:
    Stellen wir uns vor, geniale Neuropsychologen hätten eine „Glücksmaschine“ konstruiert, die ihrem Benutzer jede Erfahrung ermöglicht, die er zu machen wünscht. Wenn wir wollen, könnten wir uns für den Rest unseres Lebens an diese Maschine anschließen lassen. Wir würden nicht wissen, dass wir an eine Maschine angeschlossen sind, sondern alles wäre so, als geschehe das, was wir von nun an erleben, wirklich. Wir würden subjektiv keinen Unterschied merken, wären aber davor geschützt, Dinge zu erleben, die wir lieber nicht erleben möchten. Unsere Liebesbeziehungen wären allesamt glücklich, wir würden alles erreichen, was wir uns vornehmen, und hätten alles, was wir uns nur wünschen. Wir könnten also, was unsere subjektive Wahrnehmung angeht, jedes Leben führen, das wir wollten. Würden wir dann auch nur eine Sekunde zögern, diese einmalige Gelegenheit zu ergreifen, uns unser Glück auf Lebenszeit zu sichern? Würden wir sie vielleicht sogar ablehnen?

  3. Argumentieren
    Beim Argumentieren geht es oft um das Herausfinden von Schwächen eines Argumentes, um sich nicht in Fehlschlüsse zu verstricken, aus denen heraus dann die weiteren Schlussfolgerungen gezogen werden. Zunächst einmal muss jedoch geklärt werden, was überhaupt ein Argument ist. Im Alltag geht es häufig um bloße Meinungen, Sichtweisen, die man vertritt bzw. verneint, ohne dafür einen wirklichen Grund zu nennen. Im philosophischen Gespräch werden die Meinungen schon eher begründet oder zumindest achtet die Gesprächsleitung darauf und fragt: „Warum denkst du, dass das so ist?“

    Ein Klassiker aus der Philosophie zu diesem Thema: Sokrates ist sterblich
    also: Sokrates ist ein Mensch. Auch wenn es so aussieht – um ein Argument im klassischen Sinn handelt es sich dabei noch nicht. Warum? Wir können nicht von einem Satz auf den anderen schließen. Ebenso wenig wie man von einer Zahl (2) auf eine andere (5) schließen kann. Man braucht also mindestens zwei Sätze (in der Logik Prämissen), von denen man auf etwas drittes schließt (oder um bei den Zahlen zu bleiben: 2 + 3 = 5). Beim Beispiel mit Sokrates würde das dann so aussehen: Sokrates ist ein Mensch (Prämisse 1). Alle Menschen sind sterblich (Prämisse 2). Also: Sokrates sterblich (Konklusion). Nun mag das im ersten Moment etwas spitzfindig klingen, denn natürlich wissen wir, dass alle Menschen sterblich sind. Das muss man eigentlich nicht erst deutlich machen.
    In vielen anderen Argumenten macht aber gerade diese Suche nach der „stillen Voraussetzung“ Sinn und hilft, Streitfragen zu klären oder einer Antwort näher zu kommen. Nehmen wir also als Beispiel die Streitfrage: Ich bin der Meinung, dass in staatlichen Institutionen keine Kreuze hängen dürfen und begründe dies so: Das Aufhängen eines Kreuzes verwischt die Grenze zwischen Staat und Religion. Was setze ich jedoch voraus, um die Schlussfolgerung: „Es sollten keine Kreuze in staatlichen Institutionen hängen“ ziehen zu können? Was ist also meine zweite Prämisse? Was denkst Du?
    Im philosophischen Gespräch kann man solche stillen Annahmen erfragen, indem man bspw. bei einer Begründung nochmal nachhakt: „Und warum denkst du, dass das so ist?“ oder auch „Auf welchen Annahmen beruht deine Begründung?“.

Übrigens: Wer Lust an der Provokation als Methode hat, der hat sicherlich auch Freude an dem immer wieder polarisierenden Philosophen Slavoj Žižek.

Feuer gefangen? Alle Infos zum Aufbaumodul im Mai findet ihr hier.

 

Autorin des Beitrags: Diana Schick

Nationalflagge des Vereinigten Königreichs (Überlagerung des roten Kreuzes auf weißem Grund, des weißen Kreuzes auf blauem Grund und des rotes Kreuzes auf weißem Hintergrund)

Great Britain in the house

Am 19. Februar besucht uns Laura Kerslake, Autorin des Buches „Gedanken-Spielplatz“, die an der University of Cambridge promoviert. Schwerpunkt ihrer Forschung ist die „Dialogic Education“, also das Lernen im Dialog, dabei insbesondere das Philosophieren mit Kindern. Ihr Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer stellt spielerische, dennoch aber philosophische Möglichkeiten vor, um mit Kindern ins Gespräch zu kommen und sie zum Denken anzuregen. Kerslake verwendet dabei Bilder von Spielgeräten wie Schaukel oder Rutsche, um sie an abstrakte Konzepte heranzuführen. Dabei stehen immer die Gedanken und Ideen der Kinder im Vordergrund. Im Rahmen der „Forschungsgemeinschaft“, wie die philosophische Runde beim Ansatz von P4C (Philosophy for Children), auf den sich auch Kerslake stützt, heißt, werden die Ideen gemeinsam weiterentwickelt.

Im Anschluss gibt es die Möglichkeit, Fragen an Kerslake über ihr Buch und ihre Forschung zu stellen. Und natürlich wird bei diesem philosophischen Abend bei Wein, Wasser und kleinen Snacks auch philosophiert.

Wann?            19. Februar 2019, 18 Uhr bis ca. 21 Uhr
Wo?                 Akademie für Philosophische Bildung und WerteDialog, Baierbrunner Str. 27, 81379 München

Anmeldung    fortbildungen@kinder-philosophieren.de
Kosten             15 Euro inkl. Essen und Getränke

Der Vortrag wird weitestgehend auf Deutsch sein, Englischkenntnisse sind allerdings von Vorteil!

Mehr Informationen zum Buch: www.playgroundofideas.co.uk

 

Autorin des Beitrags: Diana Schick

 

Dr. Theres Lehn sitzt lächelnd auf einem Stuhl in einem Saal und hält einen Würfel "Catch Box"in der Hand

Fishbowl? Funktioniert.

Hast Du schon einmal versucht, mit über 50 Personen zu philosophieren? Drei Stuhlkreise, zwei Moderatoren, eine Catchbox  – und nicht zuletzt die besondere Atmosphäre in den Kammerspielen – haben geholfen, das Philosophieren mit einer so großen Gruppe von Menschen gelingen zu lassen.

Wie vor einer Theateraufführung fühlen wir uns, in dem großen Raum, mit den vielen Stühlen und den schweren schwarzen Vorhängen. Immer wieder öffnet sich eine andere Tür zur Kammer 3 und es wird geprüft, ob der Ton funktioniert, das Licht stimmt, alles an seinem Platz ist. Und schließlich kommen sie: Über 50 Menschen, von 13 bis 70 Jahren, Studenten, Philosophinnen, Mütter, Väter, auch Trainer der Akademie sind dabei. Sie nehmen Platz, manche ganz außen, um nur zuzuhören, einige gleich im inneren Kreis der Fishbowl, um von Anfang an mitzudiskutieren. Das Thema: Arm und Reich – Spot on!

  

Das ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen, denn für den Einstieg werden die vier Impulsgeber Artemis Sacantis, Helena Gregorian, Philipp Roshan und Marco Merz gebeten, aufzustehen und Fragen zum Thema des Gesprächs zu beantworten: Welche Bedeutung hat Reichtum für die Politik, die Freiheit, das Theater? Was macht Musik, was macht Tanz reich? Was macht ihr Leben reich? Den, der interviewt wird, beleuchtet ein Spot. Wir sind im Theater. Über eine Stunde philosophiert die große Gruppe anschließend gemeinsam die Frage:

Was macht das Leben reich?

Besonders an diesem Gespräch: Es ist außerordentlich dynamisch, manchmal politisch, meistens aber philosophisch und tief. Menschen wechseln in die Mitte der Fishbowl, um einen Beitrag zu leisten, ziehen sich dann wieder zurück. Andere bleiben, obwohl sie erst nur Zuhörer waren, im inneren Kreis, während andere ihren Stammsitz für neue Sprecher aufgeben und in die letzte Reihe wechseln. Christophe Rude und Dr. Theres Lehn moderieren gemeinsam. Theres hat dabei den Gesprächsverlauf im Blick und gibt immer wieder neue Impulse in die Runde: Was zeichnet eine reiche Gesellschaft aus? Ist Reichtum schon Überfluss? Wo beginnt Reichtum? Und warum reden wir überhaupt darüber? Christophe achtet hingegen mehr auf die Details und ist darauf fokussiert, das Gespräch zu vertiefen: Was verstehst Du genau unter? Warum denkst Du, dass das so ist? Ist das immer so? Gilt das für jeden?

Vielleicht ist das ein Grund, warum die Fishbowl diesmal so gut funktioniert hat. Vielleicht hat aber auch die Mischung aus Jung und Alt, Familienmenschen und Freiheitsliebenden, Menschen mit mehr und Menschen mit weniger Geld dazu beigetragen. Einen Teil hat sicher die Atmosphäre der Kammerspiele ausgemacht, die dem Philosophieren einen Hauch von Performancetheater geben konnte.

   

Was wir euch noch mitgeben möchten aus diesem tollen Gespräch: Die Abschlussfragen.

Woran wäre ich gerne reicher?

Wovon habe ich zu viel?

Viel Spaß beim Nachdenken und vielen Dank an alle, die da waren und an die Bundeszentrale für Politische Bildung, die das Festival „Politik im freien Theater“ organisiert.

Autorin des Beitrags: Diana Schick