Berufungs!Orientierung

PHILOSPHISCHE BERUFUNGS!ORIENTIERUNG 

PHILOSOPHIEREN SCHAFFT ORIENTIERUNG

Das Ende der Schulzeit stellt junge Menschen vor eine große Herausforderung: Sie müssen sich für oder gegen eine Berufsausbildung oder ein Studium entscheiden. Doch viele Schüler*innen fühlen sich nicht genug darauf vorbereitet, zu wissen wie sie ihr berufliches Leben gestalten wollen. 

Die bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen, Vorstellungen, Werten und Zielen verschafft ihnen mehr Klarheit und ein höheres Zutrauen in sich selbst und damit eine größere Sicherheit für eine eigenverantwortliche Entscheidung.

Was ist mir im Leben wirklich wichtig? Was hat mein zukünftiger Beruf damit zu tun? Wie treffe ich eine gute Entscheidung? Welche Werte und Bedürfnisse stehen hinter meinen Zielen und Entscheidungen?

WARUM EIGENTLICH PHILOSOPHIEREN?

Wie es wirkt

Die Philosophische Berufungsorientierung ergänzt die klassischen Maßnahmen um eine entscheidende Perspektive: sie fördert die identitätsstiftende Selbstreflexion junger Menschen, ermöglicht einen intensiven Meinungs- und Erfahrungsaustausch mit Gleichaltrigen, regt zum Hinterfragen von Konventionen und Rollenmustern an und trägt mit einer starken Sinn- und Werteorientierung dazu bei, dass Jugendliche eigene, tragfähige Entscheidungsmaßstäbe entwickeln.

Was genau passiert

Philosophische Fragen können nur bedingt mit Wissen beantwortet werden, der eigentliche Ausgangspunkt und der »Stoff«, aus dem philosophische Gespräche sind, ist die Erfahrung – und diese ist meist höchst individuell. Eine »passende« Antwort auf philosophische Fragen zu geben, ist daher gar nicht so einfach: Denn Jugendliche wollen und müssen sich die Welt selbst erschließen und ihre eigenen Erkenntnisse gewinnen. 

Was es bringt

Diese Ergebnisoffenheit des Philosophierens eröffnet den Raum für Selbstwahrnehmung und die Entwicklung eigener Standpunkte. Individuelle Erkenntnisse werden ermöglicht und gefordert. Dies wirkt Druck bei Zukunftsentscheidung entgegen: indem sie die Jugendlichen für die eigenen Werte und Bedürfnisse sensibilisieren und sie so befähigen, selbst über ihren nächsten Schritt zu entscheiden. Der philosophische Ansatz fördert zugleich soziale und demokratische Kompetenzen.

FÜR ALLE, DIE ORIENTIERUNG BRAUCHEN

Für Realschulen

In München Stadt und Landkreis. In den Jahrgängen 9. & 10.

Für Mittelschulen

Bayernweit in den Jahrgängen 8. – 10.

Für Gymnasien

In München Stadt und Landkreis in den Jahrgängen 9. – 13. Außerdem in Landshut/Pfarrkirchen in den Jahrgängen 11. – 13.

Für Auszubildende

Deutschlandweit in allen Ausbildungsstätten.

Für Universitäten

Deutschlandweit in allen Universitäten.

ZUM REINHÖREN

(00:00 – 00:03) Musik

(00:03 – 00:16) ARD Radio Reportage. Authentisch, lebendig, nah dran. Ein Podcast von Bayern2. [Hintergrundmusik]

(00:16 – 00:18) Musik

(00:18 – 00:44) Was ist Glück? Was ist Erfolg? Was macht gute Arbeit aus? Haben Sie sich solche Fragen schon mal gestellt? Also nicht erst im erwachsenen Alter, als es darauf ankam, sondern als Übung. Worum geht es im Leben? Worum eher nicht? Was inspiriert mich? Wann fühle ich mich stimmig und wohl? 

(00:44 – 01:09) In der Klasse 9a, der Anna-Frank Realschule im Münchner Westen, werden heute genau diese Fragen gestellt. Es ist die erste Stunde, 13 Mädchen irgendwo zwischen Kind und Erwachsener, sitzen im Kreis. Sie befinden sich mit 15, 16, zum ersten mal an einem Punkt in ihrem Leben, wo sie sich das erste mal Fragen [Hintergrundmusik: sanfte Melodie, gleichzeitig Klassenzimmeratmosphäre: leises Murmeln und Stühle rücken]

(01:10 – 01:11) [O-Ton: Petra Reuß] Wer seid ihr?

(01:12 – 01:16) Petra Reuß von der Akademie für Philosophische Bildung leitet den Kurs. [Hintergrundgeräusche: leises Murmeln und Dinge, die aus Taschen geholt werden]

(01:17- 01:25) [O-Ton: Petra Reuß] Und da vielleicht auch noch näher nachzuforschen, was euch ausmacht und wo eure Interessen liegen, die dann vielleicht später in eurem Beruf münden.

(01:26 – 02:02) Das Projekt „Berufungsorientierung“ angeboten von der Akademie und der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, versucht eine Lücke im bayerischen Schulsystem zu schließen. Neben vollgepackten Lehrplänen, Notendruck und Hausarbeiten, sollen die Schülerinnen und Schüler hier Zeit bekommen. Zeit um herauszufinden, wofür sie in die Schule gehen. Welchen Abschluss brauchen sie überhaupt? Welchen Schwerpunkt wollen sie setzen? Was ist ihnen wichtiger als andern? So der Ansatz. Dafür werden heute in kleinen Gruppen Diskussionsfragen erarbeitet. [Hintergrundgeräusche: Schülerinnen und Schüler, die sich leise unterhalten]

(02:03 – 02:13) [O-Ton: Schülerin 1] Also so ne Frage stellen, was sind unsere Stärken und Schwächen und was das überhaupt mit unserer Berufswahl zu tun hat. Also wärs eine gute Idee? [Hintergrundgeräusche: Schülerinnen und Schüler, die sich leise unterhalten]

(02:14 – 02:22) [O-Ton: Schülerin 2] Also halt einfach das man von seinen Stärken und Schwächen sagen kann welcher Job für dich passt? Oder? [Hintergrundgeräusche: Schülerinnen und Schüler, die sich leise unterhalten]

(02:23 – 02:26) [O-Ton: Schülerin 1] Ok. Also dann kann ich ja sowas fragen wie: Was haben unsere Stärken und Schwächen mit unserer Berufswahl zu tun? [Hintergrundgeräusche: Schülerinnen und Schüler, die sich leise unterhalten]

(02:27 – 02:51) In einem Jahr werden, statistisch gesehen, zwei Drittel der Mädchen hier fertig sein mit der Schule, den Abschluss in der Tasche und in eine weitere Ausbildung starten. Jetzt aber, in Klasse 9, wollen 11 der 13 Schülerinnen weiter gehen und Abitur schreiben. Weil sie sowieso noch lange genug arbeiten werden. Aber da ist noch ein gewichtiger Grund. [Hintergrundgeräusche: leises Murmeln]

(02:52 – 03:19) [O-Ton: Schülerin 1] Also für mich ist es wichtig, dass ich in meinem Beruf sehr hoch gestellt bin. Also nicht damit ich halt höher als andere Menschen bin, sondern das ich irgendwie mehr erreichen kann in meinem Leben und vielleicht mehr erfahr. Wie wenn ich jetzt zum Beispiel Psychologin oder Ärztin sein möchte, bin ich dann direkt in dem Beruf als wenn ich jetzt Krankenpflegerin bin. Dann bin ich ja eher so die Recht Hand von Ärzten. Und ich will eher so direkt die Ärztin werden und den Menschen so helfen. Hintergrundgeräusche: Schülerinnen und Schüler, die sich unterhalten]

(03:20 – 04:53) Es ist zweifellos ein Gewinn der aufgeklärten Welt, das jedes Kind ein Recht auf Bildung hat. Das es eben nicht mehr, wie vor 200 Jahren, ob seine Familie von Rang und Namen ist, on ihm oder ihr, die Welt des Wissens offen steht. Es stellt sich allerdings, schon seit einigen Jahrzehnten die Frage: reicht das Recht auf Bildung aus, um allen Kindern auch eine gute Bildung zu vermitteln? Falls ja, was passiert denn in dem einen Jahr, von der 9ten bis zur 10ten Klasse, in dem so viele Jugendliche sich doch Umentscheiden und in die Lehre gehen, statt doch zum Abitur. Wollen sie nicht doch weiter aufsteigen? Ärztin oder Psychologin werden? Oder können sie nicht? Wiegen der Lerndruck, die Erwartungen und die Traumata, durch die Pandemie, die Umbrüche und Herausforderungen der Zukunft so schwer, dass die Kinder resignieren, statt die Ärmel hoch krempeln? Denn das sie alle Chancen haben, wird kaum jemand bestreiten. Von jeder Schulform aus ist der Weg zum Abitur möglich. Doch statistisch gesehen, sind von drei Kindern, die die Schulart wechseln, zwei Absteiger, während nur eines aufsteigt. In Bayern sind, 2021, gut 7000 Kindern vom Gymnasium auf die Realschule abgestiegen. Fast 5000 von der Real- an die Mittelschule. Das sind Numerisch die mit Abstand höchsten Werte in der offiziellen Wechselstatistik. [Moderne Hintergrundmusik]

(04:54 – 04:58) [O-Ton: Werner Klein] Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das pädagogisch zu rechtfertigen ist.

(04:59 – 05:30) Sagt Werner Klein. Der pensionierte Pädagoge war lange in der Kultusministerkonferenz beschäftigt und für die Qualitätssicherung in den Schulen Schleswig-Holsteins zuständig. Er kennt die deutsche Bildungslandschaft mit allen Beteiligten sehr gut. Gleichzeitig ist er einer der wenigen Menschen, die keiner Partei angehören oder ein Amt mit Interessen innehaben. Er sagt, dass Kinder degradiert werden und eine niedriger angesehen Schulform wechseln müssen, das dürfte es eigentlich nicht mehr geben.

(05:31 – 05:48) [O-Ton: Werner Klein] Ich glaube alle Kinder denen das widerfährt, kriegen einen Bildungsknacks fürs Leben. Das ist eine solche Demütigung. Auch den sozialen Raum verlassen zu müssen, in dem ich mich hoffentlich wohl gefühlt habe, ja? Weil meine Leistungen nicht ausreichen um dort zu bleiben.

(05:49 – 06:08) Um so einen Bildungsknacks zu vermeiden, müssten Schülerinnen und Schüler viel mehr nach ihren Potentialen gefördert werden, weniger nach ihrer Anpassungsfähigkeit. Was nach einer abgegriffenen Floskel klingt, ist in Wahrheit der Aufruf das Bildungssystem von Kopf auf die Füße zu stellen.

(06:09 – 06:20) [O-Ton: Werner Klein] Die wieder wachsende Abhängigkeit des Bildungserfolgs, vom sozialen Hintergrund, vom Bildungsstand der Eltern, das sind ja große Probleme. Die kann man nicht einfach laufen lassen. Also da muss viel mehr geschehen.

(06:21 – 06:58) Nun könnte man auch argumentieren, dass Deutschland inzwischen möglicherweise nicht mehr so stak angewiesen ist auf Menschen mit Hochschulreife. Schließlich schmilzt die Mittelschicht weg. Es gibt zu wenig Fachkräfte im Handwerk und zu viele Studierende an den Hochschulen. Hätte es nicht also auch Vorteile, wenn wir mehr Menschen mit Mittlerer Reife haben? Die nach der zehnten Klasse von der Schule gehen, rechtzeitig in die Renten- und Sozialen Kassen einzahlen und mit einem klassischen Ausbildungsberuf glücklich werden. Für Werner Klein ist so eine Argumentation viel zu kurz gegriffen.

(06:59 – 07:46) [O-Ton: Werner Klein] Bildungsgerechtigkeit, wenn man das auf das Grundgesetz bezieht, lässt sich aus Artikel 3 des Grundgesetzes ableiten, da steht so etwas wie dem Sinne nach, dass niemand aufgrund seiner Herkunft, dann steht da noch Rasse und Geschlecht und so weiter, bevorteiligt oder benachteiligt werden darf. Das zweite ist eine ökonomische Argumentation. Deutschland hat keine Rohstoffe, der wichtigste Rohstoff ist die Bildung. Der dritte Punkt ist damit zusammenhängend, ist der, dass es ja erkennbar einen Fachkräfte Mangel gibt. Es gibt einen Mangel an Arbeitskräften. Die Schülerinnen und Schüler, die dieses Bildungssystem durchlaufen, darf man nicht verlieren. Sie sind unbedingt notwenig um den Wohlstand aufrecht zu erhalten.

(07:47 – 08:04) Und dann ist da noch die soziale Ausbildung, die eine Schule mitgeben kann. Um Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein für sich selbst und für ihre Umgebung zu vermitteln. Damit sie mitgehalten wollen und können, auch in einem demokratischen Sinne.

(08:06 – 08:07) [O-Ton: Petra Reuß] Also vielen Dank, dass ihr euch so intensiv beteiligt habt. [Hintergrundgeräusche: leises Murmeln]

(08:08 – 08:10) Zurück in die neunte Klasse in der Realschule.

(08:11 – 08:30) [O-Ton: Petra Reuß] Die erste Frage ist: Was haben unsere Stärken und Schwächen mit unserer Berufswahl zu tun? Zweite Frage: Was ist deine persönliche Definition von Erfolg? Was lockt dich aus deiner Komfortzone? Inwiefern interessiert dich das Berufsleben? Und die letzte Frage: Was willst du in der Zukunft sein? [Hintergrundgeräusche: leises Murmeln und das Rascheln von Papier]

(08:31 – 08:38) Die Philosophische Runde bei Petra Reuß neigt sich dem Ende entgegen, als eine neue Thematik aufkommt. [Hintergrundgeräusche: leises Murmeln]

(08:39 – 09:02) [O-Ton: Schülerin] Ich find halt vor allem, dass das Schulsystem ziemlich alt ist. Also das ist ja irgendwie aus dem 19. Jahrhundert und diese Bewertung mit den Noten, das ist halt irgendwie finde ich kontraproduktiv. Also das sorgt halt bei vielen Schülern halt für Probleme oder eben auch, dass sie sich nicht so richtig entfalten können, meiner Meinung nach. Deswegen zweifle ich das Schulsystem an, dass es gut ist. [Hintergrundgeräusche: leises Murmeln]

(09:03 – 09:28) Wie in allen Lebensbereichen haben sich auch Schülerinnen und Schüler über das System beschwert in das sie untergebracht sind. Und ja, auch in dieser Klasse wird gestöhnt. Schuld sei das Ganztagssystem, in dem die Kinder zwar viel lernen, aber auch wenig Freizeit haben. Die Diskussion die dann in Fahrt kommt, scheint allerdings mehr zu sein, als das übliche Gejammer Minderjähriger. 

(09:29 – 09:49) [O-Ton: Schülerin] Ja also ich finde auch das mit den Noten sehr kritisch. Man bekommt auf jeden Fall gleich gesagt, du machst auf jeden Fall eine Ausbildung, weil besser wirst du nicht, obwohl man ja voll die Möglichkeiten hätte. Es wird auch so gleich gesagt, du bist weniger intelligent. Was ja gar nicht stimmt. Vielleicht interessiert man einen einfach nicht so für Mathe, das heißt ja nicht, dass man nicht so schlau ist wie andere Leute.

(09:50 – 10:13) [O-Ton: Schülerin 1] Es wird einem auch immer gesagt, dass man fürs Leben vorbereitet wird, obwohl da meiner Meinung nach viel mehr dazugehört. Und vielleicht könnte man das verbessern, indem man nicht immer nur die Noten anschaut, also vielleicht sind die Noten auch wichtig um sich einschätzen zu können, aber dass man vielleicht auch mehr Feedback bekommt, dass man zu der Note dazu weiß, was hätte besser machen können. 

(10:14 – 10:17) [O-Ton: Schülerin 2]Ich finde halt sollte mehr auf die Schüler eingehen, auf ihre Interessen.

(10:18 – 10:22) [O-Ton: Schülerin 3] Also es gibt trotzdem sehr viele Möglichkeiten, aber ich denke nicht, dass es immer möglich ist, das jeder das macht was er will.

(10:23 – 10:49) Dieser Vorwurf hat es in sich. So vielfältig und durchlässig das Schulsystem mittlerweile auch sein mag, die Schülerinnen sagen es behindert die jungen Menschen trotzdem darin, sich zu entfalten. Denn statt sie zu motivieren, setzt es sie unter Druck. Flößt ihnen Versagensängste ein und entlässt sie auf den Arbeitsmarkt mit der großen Unsicherheit, ob sie den Ansprüchen genügen können. Kann das sein?

(10:50 – 10:58) [O-Ton: Simone Fleischmann] Wir demotivieren Kinder in diesem Schulsystem, das ist strukturell bedingt, dass wir diese Kinder demotivieren und da müssten wir eigentlich aufräumen.

(10:59 – 11:25) Sagt eine, die das eigentlich nicht sagen sollte. Simone Fleischmann ist selber Lehrerin und Vorsitzende des bayerischen Lehrer und Lehrerinnen Verbands. Gerade ist sie auf dem Weg zum Politiker derblecken auf dem Nockerberg. Vorher nimmt sich die gelernte Hauptschullehrerin Zeit für ein Interview. Die Frage wird ihr nicht passen. Aber müssten es nicht eigentlich sie und ihre Kolleginnen und Kollegen sein, die aufräumen und motivieren?

(11:26 – 11:53) [O-Ton: Simone Fleischmann] Wir räumen deswegen nicht auf, glaube ich, weil die Gesellschaft es so kennt. „Also wir haben das noch nie anders gemacht, das machen wir immer so!“ Oder auch die Frage: Noten? Müssen Noten in der vierten Klasse sein um Kinder zuzuweisen? „Ah ja das hat mir auch noch nie geschadet, mal eine fünf schadet nicht, dann lernt man besser.“ Also dieses alte Denken, haben wir alle in unseren Köpfen. Wenn sie Eltern fragen: „Wollen sie Schule ohne Noten?“, Nein, die hat es immer schon gegeben. In dieser systhemischen Falle hocken wir alle. 

(11:54 – 12:10)  Die Schuld liegt also bei den Eltern? Fleischmann sagt, der Widerstand gegen Reformen und gegen neue Denkansätze, komme vor allem aus ökonomisch starken Schichten, die das alte System bewahren wollen. Aus Angst davor, ihre Kinder könnten sozial absteigen.

(12:11 – 12:18) [O-Ton: Simone Fleischmann] Wir haben eine Geschichte hier mit dem Schulsystem und die Geschichte heißt: derjenige der am Gymnasium die besten Chancen hat, ist der bessere Mensch.

(12:19 – 12:46) Diesem höher, schneller, weiter, stehen Ideen entgegen, die gemeinsames lernen bis zur 10. Klasse fordern. Oder Schule ohne Noten. Mehr Personal und mehr Geld für die individuelle Förderung der Spätentwickler und vor allem mehr Wertschätzung. All das aber, steht schon seit Jahren auf Fleischmanns Wunschliste. Sie sagt, nur so könnten Potentiale gehoben werden, wie seltene Erden.

(12:47 – 13:08) [O-Ton: Simone Fleischmann] Ich glaube ein Drittel der Schülerinnen und Schüler hat noch andere Potentiale wie die, die wir heben, in der Schulart wo das Kind jeweils ist. Was schlummert in einem Kind, das in die Mittelschule geht? Und da gibt es natürlich Leuchttürme von Kindern. Ich könnte ihnen sofort zehn meiner ehemaligen Schüler nennen, die jetzt alle wunderbare Berufe haben, die sehr gut verdienen, wenn man das als Kriterium nennen will und aber auch noch (und das ist ja das wichtigste) glücklich sind.

(13:09 – 13:31) Die Lehrer geben den Eltern die Schuld, die Eltern geben tendenziell den Lehrern die Schuld oder auch der Politik. Und die Politik hat ihre ganz eignen Sorgen. Am Abend, nach dem Interview mit Simone Fleischmann, nimmt sich Maxi Schafroth, in seiner Fastenrede, auch den bayerischen Bildungsminister Michael Piazolo vor.

(13:32 – 14:18) [O-Ton: Maxi Schafroth]Jetzt muss ich dich mal schimpfen, Michael. Da schaut er wieder so, wie ein Erstklässler, der geschimpft wird und merkt, ihm kommt gleich die Apfelschorle rauf. Jetzt müssen wir Lehrer anwerben. Was glaubt ihr, wenn ein Lehrer aus einem digitalisierten Bundesland nach Bayern kommt? (Lacht) Wenn die unsere rückständigen PVC-Dunst geschwängerten Leistungsvolterkammern sehen, die drehen um und unterrichten daheim gratis an der Volkshochschule. Jetzt sind wir doch mal ehrlich, die Essenz des bayerischen Schulsystems lautet: permanente Höchstleistungsanreize durch schwelende Minderwertigkeitsgefühle. Ist ja quasi die Bauanleitung für die Persona Söder. [Lachen und Klatschen vom Publikum] Ich muss besser werden, ich muss besser werden, ich muss besser werden. Wir haben diesen Mann doch erschaffen, dieses Leistungsmonster! [Publikumsgeräusche im Hintergrund, Lachen]

(14:19 – 14:35) Der Bildungsförderalismus. Er führt zu Konkurrenz unter den Ländern. Zu, wie Schafroth es beschreibt, permanenten Höchstleistungsanreizen, durch schwelende Minderwertigkeitsgefühle. Noch einmal der Pädagoge Werner Klein, er verweist darauf …

(14:36 – 15:09) [O-Ton: Werner Klein] Dass Bildung und Kultur Aufgabe der Länder sind. Und diese Länder müssen dieser Aufgabe nachkommen, sind aber unterschiedlich aufgestellt. Der Bund wäre ein Partner, der jedenfalls zum Teil dieser Unterschiedlichkeiten ausgleichen könnte. Es wurde aber 2006/2007, in einer wie ich finde fatalen Weise, in der damaligen Föderalismusreform, beschlossen, dass Bund und Länder im Bildungs- und Kulturbereich sich trennen. Es gab sogar ein Kooperationsverbot. 

(15:10 – 15:28) Ein Kooperationsverbot, zwischen Bund und Bundesländern. In einer Demokratie? Obwohl spätestens seit dem sogenannten „Pisaschock“, vor mehr als zwanzig Jahren, hinlänglich erforscht wurde, woran es fehlt, in deutschen Schulen. Für Werner Klein ist das schwer nachzuvollziehen.

(15:29 – 16:05) [O-Ton: Werner Klein] Keine Ahnung, aber im Unterschied zu skandinavischen Ländern scheint es so zu sein, dass es in Deutschland nicht ein politisches Bewusstsein gibt, dass alles getan werden muss, um den Kindern ein gutes Bildungsangebot zu machen. In Skandinavien ist es selbstverständlich. Lehrer in Finnland verdienen die Hälfte, von dem was Lehrer in Deutschland verdient, trotzdem wollen acht mal so viele Menschen in Finnland Lehrer werden, als dürfen. Dahinter scheint ja eine Kultur sich zu zeigen, die vom Wert von Bildung überzeugt ist. Ich hab so meine Zweifel ob das in Deutschland der Fall ist, ich glaub nicht so.

(16:06 – 15:53) Der Pädagoge sagt auch, es ist nicht nur der Föderalismus. Es gibt nicht den einen großen Konstruktionsfehler in den Schulen. Vielmehr sei es die Mischung, die Bildung als Allgemeingut entwertet. Da ist die chronische Unterfinanzierung des Systems. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit einen Ausgaben fürs Bildungssystem, prozentual konstant unter dem Durchschnitt der OECD und der EU. Hinzu kommt der, in vielen Bundesländern, der frühe und strenge Übertritt. In Bayern lernen alle Kinder gemeinsam, bis sie zehn Jahre alt sind. Ab dann gilt es, den vorgemerkten Abschluss zu erreichen. Sofern man nicht zu den Auf- oder Absteigern gehören möchte, die im vollen Lauf ihr soziales Umfeld verlassen und die Schule wechseln. 

(15:54 – 15:58) [O-Ton: Moderatorin] Wenn sie der Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems eine Note geben müssten, was würden sie geben? 

(15:59 – 17:01) [O-Ton: Werner Klein] Oha! (lacht)

(17:01 – 17:02) [O-Ton: Moderatorin] Bauchentscheidung.

(17:02 – 17:06) [O-Ton: Werner Klein] Bauchentscheidung, ja. Ich würde sagen eine vier. Drei minus bis vier.

(17:06 – 17:07) [O-Ton: Moderatorin] Na, immerhin.

(17:07 – 17:10) [O-Ton: Werner Klein] Immerhin, ja. Aber es reicht nicht. 

(17:11 – 17:30) Drei minus bis vier. Das heißt, es gibt sie schon, die Aufstiegsmöglichkeiten. Es gibt die Durchlässigkeit, damit alle Kinder den Weg einschlagen können, der gut für sie ist. Die Frage ist allerdings ist: stimmt auch die Mentalität? Damit Kinder und Jugendliche sich trauen selbstbewusst zu sagen: ich kann noch mehr erreichen.

(17:31 – 17:39) [O-Ton: Sandra Passreiter] Bei mir würde ich sagen es tendiert eher Richtung negativ. Mag vielleicht auch sein, dass ich ne Frau bin in Naturwissenschaften.

(17:40 – 18:10) Trotzdem. Sandra Passreiter ist der lebende Beweis. Es ist möglich aufzusteigen. Nach der 10. Klasse in Straubing hat sie eine Ausbildung als Chemielaborantin gemacht. Das hat ihr nicht genügt. Also hat sie das Abi nachgeholt, den Bachelor und Master an der Technischen Uni in München gemacht, inzwischen promoviert sie und entwickelt Antikörper Test, für verschiedene Infektionskrankheiten. Allerdings leicht gemacht, wurde ihr dieser Aufstieg nicht. Von niemandem. 

(18:11 – 18:16) [O-Ton: Sandra Passreiter] Es war damals bei mir nicht üblich, dass sich dann jemand für so eine berufliche Laufbahn entscheidet.

(18:17 – 18:20) [O-Ton: Moderatorin] Gibts einen Lehrer oder eine Lehrerin denen du gerne etwas nachreichen würdest? (Lacht)

(18:21 – 18:35) [O-Ton: Sandra Passreiter] Ne, eigentlich nicht. Das ist es nicht wert. (Lacht) Gab schon so Situationen, aber ich lass mich davon nicht leiten in irgendeiner Art und Weise. Es zieht dich nur runter und bringt ja eh nichts. [Hintergrundgeräusche: vorbei fahrende Autos] 

(18:35 – 19:00) Es fällt Sandra nicht ganz leicht über ihren Aufstieg zu sprechen. Ja, sie sei stolz an der TUM zu studieren. Aber Zuhause auf dem Land, wo der Nachbar im Kuhstall arbeitet und ihrer Familie niemand ein Abitur hat, da sei sie wie in einer Parallelwelt. Und so anstrengend das auch sei, durch das Wandeln zwischen den Welten, hat sie sich eine sehr selten gewordene Fähigkeit erarbeitet. 

(19:01 – 19:21) [O-Ton: Sandra Passreiter] Ja ich glaub man hat durchaus den Vorteil, dass man lernt, Wissenschaft gut erklären zu können. Diese kommunikativen Skills nenne ich das jetzt einfach mal. Weil du musst das soweit runterbrechen, dass jemand, der jetzt nicht gerade sein Abi gemacht hat, dass er das verstehen kann, was du machst.

(19:22 – 20:18) Und genau das möchte Sandra auch später im Beruf machen. Sie wird etwa Mitte 30 sein, wenn sie den Doktortitel in der Tasche hat. Dann aber will sie nicht an der Universität bleiben, sondern die Verbindung schlagen. Zwischen Forschung und Wissenschaftsvermittlung. Raus aus dem Elfenbeinturm, rein in die Verbreitung von Wissen. Ein Wertvoller Beitrag zur Bergung des so wertvollen Rohstoffs Bildung. Sandras sechzehnjähriges Ich hätte niemals gedacht, dass sie so weit kommen würde. Und so wie es klingt, hätte niemand das gedacht. Von dort aus wo sie steht, was glaubt sie, gibt es genügen Aufstiegschancen in Deutschland? Grundsätzlich ja, sagt sie. Herkunft und Startbedingungen spielen aber eine große Rolle. Und man müsse es auch wirklich wollen. Um diesen Willen zu stärken, könnte es helfen mit ein paar Irrtümern aufzuräumen. 

(20:19 – 20:36) [O-Ton: Sandra Passreiter] Irgendwie hat man immer das Gefühl, auch für den Arbeitsmarkt später, man muss perfekt sein. Was ja eigentlich nicht stimmt. Wenn man das halt nicht weiß, oder einem das nicht gesagt wird, das muss man herausfinden und manche tun das früher und andere später. [Hintergrundgeräusche: vorbei fahrende Autos] 

(20:36 – 20:40) [O-Ton: Moderatorin] Was könnte die Schule tun, damit das früher passieren kann? [Hintergrundgeräusche: vorbei fahrende Autos] 

(20:41 – 21:02) [O-Ton: Sandra Passreiter] Dass man den Kindern und Jugendlichen einfach den Druck nimmt. Das wird ja schon bei der Grundschule angefangen, dass ja dann die Noten für diese Übertrittszeugnisse passen müssen, aber heutzutage hat man so viele Möglichkeiten. Aber das ist ja wie alles im Leben: wenn man es von sich aus will, dann geht das auch. [Hintergrundgeräusche: vorbei fahrende Autos] 

(21:03 – 21:47) Und wann lernen Menschen etwas von sich aus zu wollen? Wenn sie selbstbewusst auf ihr Leben schauen. Weil sie verinnerlicht haben, dass sie etwas bewegen können. Und dafür braucht es keine kaputt gesparten Lehrkörper und Schulgebäude, sondern Lernräume vor denen niemand Angst haben muss. Räume, in dene Kinder und junge Erwachsene nicht lernen zu scheitern, sondern lernen sich auszuprobieren. Ein Raum, flexibel und frei von Eitelkeiten und Besserwisserei. Auf den die Erwachsenen mit wohlmeinenden Blick schauen, damit es wieder wahr werden kann, das Versprechen: Bildung für alle und zwar in gut. [Hintergrundmusik] 

WIR KOMMEN AUCH ZU DIR

Im Schuljahr 2012/13 haben die ersten Workshops zur Berufungs!orientierung mit Schüler*innen an Mittelschulen, Realschulen und Gymnasien stattgefunden. Aufbauend auf diesen ersten Erfahrungen hat das Team der Akademie Veranstaltungsserien mit bis zu sechs Workshops entwickelt, die seither in mehreren Regionen Bayerns, sowie in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurden. Im Jahr 2019 haben wir so mit 15 freiberuflichen Referent*innen in 351 Workshops über 1.700 Schüler*innen, Student*innen und Auszubildende erreicht. Einen genaueren Überblick über unsere vergangenen und aktuellen Aktivitäten gibt die folgende Karte.

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Karte von Deutschland ohne Beschriftungen und Umrisse
1

München

In München startete 2012 der erste Zyklus der philosophischen Berufs- und Lebensorientierung an drei Münchner Realschulen. In den darauffolgenden Jahren kamen über 40 Realschulen, Gymnasien und Mittelschulen hinzu.

Gefördert von: Agentur für Arbeit München, Stiftung Bündnis für Kinder, Vereinigung der Bay. Wirtschaft, IHK München und Oberbayern, Stiftung Kick ins Leben, Bayerischer Sparkassenverband, Landkreis München, BLLV – Bayer. Lehrer- und Lehrerinnenverband e. V., Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, Referat für Bildung und Sport der Landeshauptstadt München.

2

Niederbayern

Seit 2016 werden an zahlreichen Gymnasien in Niederbayern, u.a das Gymnasium Pfarrkirchen, Hans-Carossa-Gymnasium, Karl-von-Closen-Gymnasium (Eggenfelden), Tassilo-Gymnasium (Simbach am Inn), Gymnasium Dingolfing etc. durchgeführt. Insgesamt durchliefen bereits über 400 Schüler*innen die Philosophische Berufsorientierung. Gefördert von der Hans-Lindner-Stiftung, dem Bayerischen Sparkassenverband und der Agentur für Arbeit Landshut-Pfarrkirchen.

3

Augsburg

Am Maria-Theresia-Gymnasium und Jakob-Fugger-Gymnasium wurde 2019 die Berufsorientierung erstmals in Augsburg durchgeführt. Drei Klassen durchliefen je 6 Workshops. Das Pilotprojekt wurde vom Sparkassenverband gefördert.

4

Köln 

2020 führten wir gemeinsam mit Kultcrossing das Projekt „Reales Philosophieren“ an der Johan-Bendel-Realschule durch. Insgesamt durchliefen 6 Klassen vier Workshops. Förderer ist die Rheinenergiestiftung Jugend/ Beruf, Wissenschaft.

5

Bayreuth 

Am Markgräfin-Wilhelmine-Gymnasium und am Gymnasium Christian Ernestinum wurden die ersten Pilote der Region mit Untersützung des Bayerischen Sparkassenverbands durchgeführt.

6

Ravensburg

2018 wurde die Philosophische Berufsorientierung erstmals am Albert-Einstein-Gymnasium durchgeführt. Gefördert von der Karl-Schlecht-Stiftung.

7

Filderstadt

2016-2018 nahmen insgesamt 75 Schüler*innen des Eduard-Spranger-Gymnasiums an der Philosophischen Berufsorientierung teil. Gefördert durch die Karl-Schlecht-Stiftung.

8

Offenburg und Mühlenbach

Im Rahmen des Projekts mit der Karl-Schlecht-Stiftung wurden 2018 an der Heinrich-König-Schule in Mühlenbach und der Sommerfeldschule GWRS in Offenburg an je einem Tag die Philosophische Berufsorientierung mit SchülerInnen der 8./9. Jahrgangsstufe durchgeführt. Gefördert von der Karl-Schlecht-Stiftung.

9

Regensburg

10

Pfaffenhofen

11

Heidelberg

12

Plauen

BLICK IN DIE AKADEMIE

Funkenregen eines Feuerwerks

Jahresrückblick 2024

"Philosophieren am Abend" zum Thema Rollenbilder.
der Wertereisekoffer liegt offen auf einem Tisch, die Bildkarten mit philosophischen Fragen liegen neben dem Koffer, offen liegt die Karte "Wertschätzung" mit drei Fragen

KONTAKT AUFNEHMEN

Petra Reuß

Petra Reuß

Projektleitung Berufsorientierung an Realschulen und Mittelschulen
Dr. Theres Lehn

Dr. Theres Lehn

Projektleitung Berufsorientierung an Gymnasien
Petra Wölfinger

Petra Wölfinger

Projektleitung Berufsorientierung an Gymnasien in Niederbayern