Öffnet man den Flyer des Werte.Dialog.Integration Projekts der Akademie für philosophische Bildung und Werte Dialog, erfährt man sogleich, dass „die Akademie spezielle Formate des philosophischen Dialogs für verschiedene Zielgruppen als fruchtbare Möglichkeit der Auseinandersetzung über verschiedene und gemeinsame Wertvorstellungen – und über gängige Grenzen im Kopf hinweg“ entwickelt. Aber wie genau kann man sich diese fruchtbare Möglichkeit der Auseinandersetzung vorstellen? Flyer müssen gut ausschauen und vielversprechend klingen, aber was steckt dahinter?
Ich hatte die Gelegenheit einen Blick hinter die Worte des Flyers zu werfen und die Arbeitswelt der PhilosophenInnen mitzuerleben. Als Praktikantin durfte ich unter anderem Julia Blum-Linke bei einem Auftrag des bfz Augsburg unterstützen. Sie wurde gebeten für zwei der dortigen Berufsintegrationsklassen einen dreiteiligen Workshop zu gestalten, der zum einen der Wertebildung dient und zum anderen den Schülern hilft sich selbst besser kennenzulernen. Nach einigem Brainstorming und vielen verworfenen Ideen stand schließlich das Konzept: 1) Was ist wirklich wichtig im Leben? 2) Wer bin ich? Wer will ich sein? 3) Wie treffe ich wichtige Entscheidungen? Die Workshops wurden jeweils in den Klassen durchgeführt und ich hatte die Möglichkeit an einem der ersten Workshops und bei beiden Durchführungen des zweiten Workshops teilzunehmen und mitzuwirken.
Wofür brauchen wir den Wertedialog?
„Es muss einen tiefergehenden Dialog […] geben, über das was eine Gemeinschaft trägt, was sie zusammenhält und wohin sie sich bewegen will.“ Um das herauszufinden, muss ich als Teil der Gesellschaft wissen, wer ich bin, was mir wichtig ist und wohin ich will. Im ersten Workshop konnten die Schüler sich überlegen, was ihnen wirklich wichtig ist. Jeder sollte eine Sache für sich finden und bei einem anschließenden Austausch in einer kleinen Gruppe, sollte eine Wertehierarchie aufgestellt werden – Was ist uns am wichtigsten?
Zurück in der ganzen Gruppe zeichnete sich folgendes Bild: Mehrere Gruppen waren zu dem Ergebnis gekommen, dass Gesundheit und Familie das wichtigste in ihrem Leben sei. Auch genannt wurde Liebe, Mut, Reisen, Mutter. Gemeinsam einigten wir uns darauf über darüber zu philosophieren, was Familie eigentlich ist und fanden Stichworte wie Kraft, (Selbst)vertrauen, Unterstützung, Liebe, Trost, Respekt, Verantwortung, Liebe… und philosophierten weiter über diese. Auch der zweite Workshop ergab eine spannende Bandbreite an Gedanken zum Ich: Von einfacheren Merkmalen des Ichs wie Name, Alter, Herkunft, Beruf, Status, über Beziehungen in Familie und mit Freunden und (Selbst)vertrauen bis hin zu der Überlegung, was einen guten Charakter auszeichnet (Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Aufrichtigkeit…) und zu Hoffnung, Träumen und Glauben, die die Kraft geben Ziele zu erreichen.
Die philosophische Gesprächsleitung
„… vertieft das Gespräch durch Nachfragen, gibt Denkanstöße und motiviert, genau hinzusehen, bewusst zuzuhören und öfter nachzufragen.“ Diese Beschreibung klingt auf das erste Lesen sehr viel leichter als es ist. Vor allem wenn von keinem der Teilnehmer Deutsch die Muttersprache ist. Ich war beeindruckt von der Leichtigkeit, mit der Julia den Überblick behielt, Impulsfragen so stellte, dass Gedanken weiter entwickelt wurden und neue Perspektiven entstanden. So warf sie beispielsweise, als wir bei dem Thema Respekt angelangt waren, die Frage auf, ob man seinen Lehrer auf die gleiche Weise respektiert wie seinen Vater. Nachdem die Schüler über diese Frage nachgesinnt hatten, fiel ihnen auf, dass einige der Werte, die wir in Bezug auf die Familie gesammelt hatten, auch für andere Lebensbereiche gültig sind.
Weiter vorne im Flyer heißt es außerdem: „Die Gesprächsleitung schafft die Bedingungen dafür, dass den verschiedenen Ansichten mit Respekt und Wertschätzung begegnet werden kann.“ Zu dem einfühlsamen, aufmerksamen Umgang mit den Teilnehmern fallen mir zwei einprägsame Beispiele ein. Zum einen führten wir zu Beginn des zweiten Workshops als Einstieg eine Übung durch, bei der jeder drei Fähigkeiten und Talente aufschrieben sollte, die er sowohl charakterlich als auch im schulischen Bereich an sich findet. Einer der Jungen saß unmotiviert da und schrieb Nichts auf. Als Julia ihn fragte, warum das so sei, meinte er: „Ich kann nichts wirklich gut.“ Daraufhin nahm Julia ihn zur Seite und stellte ihm während der restlichen Übung Fragen, die ihm halfen nun doch ein paar Punkte aufschreiben zu können. Das zweite Beispiel war ein Kompliment, das die dortige Lehrerin, die ebenfalls am Workshop teilnahm, Julia zusprach. In der Gruppe war ein Junge, der sehr unruhig war und hin und wieder unangemessene Beiträge brachte. Die Lehrerin meinte zu Julia, dass es schön sei, wie sie den Jungen in seiner Art annahm und ihm Raum gab, er selbst zu sein und gleichzeitig seinen Fokus auf das Gespräch lenkte.
Ein Gespräch als Ort der Begegnung
„Der Wertedialog kann als Ort verstanden werden, an dem sich die Menschen kennen lernen – sich selbst und ihr Gegenüber. Hier gibt es die Möglichkeit, eigene Haltungen und Standpunkte zu prüfen, Gedanken laut zu formulieren, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln.“ Das das philosophische Gespräch ein Ort ist, an dem sich die Teilnehmenden besser kennen lernen wird vielfach bestätigt, auch hier wieder. In der Abschlussrunde, meinten die Lehrer, dass sie an ihren Schülern neue Seiten entdeckt hätten und auch die Schüler ließen verlauten, dass es interessant war, die Perspektiven der Anderen zu sehen und sie nun besser verstehen könnten, wie der jeweils andere tickt. Ein Beispiel hierfür ergab sich aus der Frage nach Respekt. Eine Schülerin erklärte, dass sie Andere erst dann respektiert, wenn sie ihr mit Respekt begegnen, wird sie nicht respektiert, respektiert sie auch niemanden. Die Meinungen darüber waren gespalten: Muss mich der Andere wirklich zuerst respektieren? Allerdings erklärt die Sichtweise der Schülerin ihr Verhalten und macht es den Anderen eventuell leichter sich auf sie einzulassen.
Wenn das philosophische Gespräch ein Ort der Begegnung ist, dann muss auch Raum für persönliche Erfahrungen sein. Im Flyer heißt es: „Lebenswelt, Erfahrungen und Sichtweisen der Teilnehmenden geben den Anlass zum Gespräch und bieten Raum für die großen Fragen an die Gemeinschaft und an das Leben.“ Für diese Erfahrung gibt es zahlreiche Beispiele, aber eine ist mir besonders ans Herz gegangen. Ein Junge meinte, dass er niemandem mehr vertraut. Er erklärte, das dem so sei, weil seit er in Deutschland ist, alle immer gesagt hätten: Vertrau uns! Mach dieses und jenes. Vertrau uns, wir holen deine Familie her. Allerdings hat er mit dem Vertrau-uns der Behörden nur schlechte Erfahrungen gemacht. Er nannte uns auch ähnliche Beispiele aus seinem Privatleben. Das Fazit seiner Erlebnisse war also, dass Vertrauen etwas schlechtes ist. Im weiteren Gesprächsverlauf ergab sich jedoch noch eine andere Perspektive. Die die Teilnehmenden stellten fest, dass Vertrauen wichtig ist für den Umgang miteinander und für das Leben. Außerdem bemerkte jemand, dass der Junge ja doch ein Stück Vertrauen in die Anderen Gruppenmitglieder haben müsse, da er sonst gar nichts von sich erzählen würde.
Ich als Praktikantin
Am Ende meines Praktikums kann ich festhalten: Die Akademie hält alles was sie in Flyern und auf der Homepage verspricht. Sowohl in Bezug auf das Werte.Dialog.Integration Projekts, als auch bei der philosophischen Berufsorientierung, als auch bei den Fortbildungen. Und selbstverständlich auch hinsichtlich des Praktikums. Ich hatte Gelegenheit in allen Bereichen der Akademie mitzuarbeiten – Fortbildungsorganisation, Workshopkonzeption, philosophische Berufsorientierung, Öffentlichkeitsarbeit… – und durfte an Fortbildungen und Workshops teilnehmen.
Vielen Dank für diesen Beitrag an Theresa Kern – und alles Gute für deinen weiteren Lebensweg!