Das Philosophische Cafe im Haus der Eigenarbeit (HEI) in München

Was meint man, wenn von einem „Philosophischen Cafe“ die Rede ist? Vermutlich gibt es – wie in den meisten Fällen – nicht nur eine Definition, sondern sehr viele, welche sich mal mehr mal weniger ähneln. Das Philosophische in dieser Wortkombination, ist in diesem Falle nicht als Philosophie im akademischen Sinne zu verstehen. Zwar sind es im Grunde die ähnlichen Fragen, die das Denken in Gang setzen, doch beschäftigen sich die Teilnehmenden des „Philosophische Cafes“ mit den Ideen und Gedanken, die im Moment von Relevanz sind oder im gemeinsamen Austausch entstehen. Es geht weniger darum, was berühmte Philosoph:innen einst dazu gesagt haben oder sagen, oder um hochspezielle Themen, wie sie an den Universtäten diskutiert werden, in einem dafür typischen Seminarsetting. Gerade das Denken im gemeinsamen Kreis, also das Philosophieren als Tätigkeit und nicht als Erkunden eines bereits bestehenden Wissensbestand, ist eines der Spezifika des „Philosophischen Cafes“. Das zweite Wort Cafe kann auf diesen Aspekt der Gemeinschaft hin interpretiert werden. Eine Zusammenkunft von Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen und sich einer Frage widmen. Und obgleich man natürlich einen Kaffee zum Philosophieren trinken kann, ist die Haltung während des „Philosophischen Cafes“ keine, welche man in einem gastronomischen Cafe an den Tag legen würde. Die Konzentration ist in aller Regel nicht in der Weise angespannt, wie es in einem philosophischen Seminar wäre, doch ist es hilfreich, wenn eine fokussierte Aufmerksamkeit herrscht, die geprägt ist von achtsamem Zuhören und Sprechen. Alle Teilnehmenden, einschließlich der Moderierenden, verstehen sich gleichsam als Lehrende und Lernende. 

Durch diese Herangehensweise wird ebenso deutlich, worum ist nicht geht: richtig oder falsch. Bei der Betrachtung einer Frage oder eines gesellschaftlichen Phänomens sollen vielmehr die unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven aufleuchten und den Blickwinkel eines jeden Teilnehmenden um den der anderen erweitern. Dies bedeutet keineswegs, dass nicht auch Argumente verteidigt oder auch verworfen werden dürfen und natürlich auch nicht, dass nicht jede:r seine/ihre eigene Meinung haben und behalten darf. Dies gehört unzweifelhaft zum philosophischen Austausch dazu, doch stets vor dem Hintergrund einer offenen und toleranten Haltung gegenüber allen Teilnehmenden, die geprägt ist von dem Antrieb des Erkenntnisinteresses aus dem gemeinschaftlichen Austausch heraus.

„Jeder Mensch ist dem Wesen des Menschen nach, Philosoph. (…) Weil jeder Mensch irgendwo die Frage stellt: Wozu bin ich da? Was will ich? Worauf kommt es an? Oder weil jeder Mensch irgendwo es kennt, dass er, nicht im gewöhnlichen Sinne schlechter Stimmung ist, sondern dass er auf eine Weise traurig, verzweifelt oder angstvoll ist, weil es ihm bewusst wird; ja was ist das eigentlich, dass ich hier da bin? Was soll ich? (…) Das unterscheidet ihn [den Menschen] vom Tier.“

 Karl Jaspers (1883-1969): Wesen der Existenz (Gespräch 1960)

Das Haus der Eigenarbeit in München (HEI) ist für das „Philosophische Cafe“ ein geradezu perfekter Ort. Im Kontext von Werkstätten und Begegnungsräumen geht es im HEI ebenso darum, nicht Vorgefertigtes zu konsumieren, sondern sich durch eigene Arbeit kreativ auszudrücken und somit den Dingen eine „eigene Note“ zu verleihen. Hierzu müssen Fertigkeiten erlernt werden, um beispielsweise ein Werkstück aus Ton an der Drehscheibe herstellen zu können. Für das Philosophieren gilt im Prinzip das Gleiche, weshalb der Begriff „Gedankenschmiede“ durchaus treffend ist. Man könnte so auch vom „Herstellen“ eines Gedankens sprechen, dass, genau wie bei der handwerklichen Tätigkeit, mit Arbeit und – mal mehr mal weniger – Anstrengung verbunden ist. Was im Töpferkurs die erfahrene Lehrperson ist, welche einem die richtigen Handgriffe beibringt, wird im „Philosophischen Cafe“ durch das kollektive Miteinander geleistet. Die Tätigkeit der Moderierenden beschränkt sich im Grunde darauf, den Gesprächsfluss am Thema zu halten und dass sich die Diskutanten nicht im Universum all der wichtigen und drängenden Fragen verlieren. Man könnte die Aufgabe der Moderation auch darin sehen, dass sich zum Denken das Moment der Reflexion einstellt, welche nicht aus den Augen zu verlieren ist. 

An der Drehscheibe wie auch im „Philosophischen Cafe“ geht es insbesondere um eines: Selbstwirksamkeit. Am Ende eines Tages – bzw. nach zwei Stunden Philosophieren oder Töpfern – umgibt einen das Gefühl, aus eigener Kraft etwas geschaffen zu haben oder zu einer Erkenntnis gekommen zu sein, die so vorher noch nicht da war. Und wenn sich dieses Gefühl nicht gleich beim ersten Mal einstellt, dann bestimmt mit der Zeit. So will nämlich der Umgang mit den eigenen Gedanken gelernt sein – genauso, wie der Umgang mit dem Werkstoff Ton. Rückschläge oder Frust können sich im Handwerk wie auch im Denken einstellen, doch gibt es kaum einen Grund sich nicht seines eigenen Denkens zu bedienen, denn: Eine selbst „erarbeitete“ Erkenntnis scheint genauso hervor, wie eine selbst gedrehte Tasse, inmitten einheitlicher und perfekt polierter Keramik.

Autor | Martin Mühlich