ChancenGleich x Zwei Schwestern
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/0 Kommentare/in Allgemein/von Julia MüllerGedanken kann man hören. Man kann sie herbei pfeifen, in einen Tornister schichten, auf dem Fußboden ausbreiten und alphabetisch ins Regal sortieren: die albernen, die aufregenden, die bahnbrechenden, die braven, die chaotischen, … Herr Grantig jedenfalls, der Sonderling mit der Schirmmütze, kann das. Frühmorgens schon schlurft er durch die einsamen Gassen, lauscht, pfeift, öffnet den speckigen Ranzen, und wieder legt sich ein Gedanke zu den anderen. Das Einsortieren erfordert dann Herrn Grantigs ganze Aufmerksamkeit.
„Gedanken sind nämlich so gut wie durchsichtig und leicht zu verwechseln.“
Das Kinderbuch „Der Gedankensammler“ gehört zu den Lieblingslektüren von Christophe Rude. Der Leiter der Münchener „Akademie für Philosophische Bildung und WerteDialog“ nutzt solche Werke bei Unterrichtsbesuchen oder Online-Treffen, um Kinder und Jugendliche aller Schularten zum philosophischen Fragen anzuregen. Als Eröffnungsimpuls bietet er stets ein frag-würdiges Sujet. Liest vor, bis sich eine Frage aufdrängt. Dann wird diskutiert: Was sind eigentlich Gedanken? Wie unterscheiden sie sich von Gefühlen?“ Am besten, die Gespräche kreisen um Fragen mit „Lebensweltbezug“, um Gerechtigkeit, Freundschaft, Zeit, Familie.
Der Unterschied zum Alltagsgespräch über solche Begriffe: Es braucht „konzeptuelle Offenheit“. Die Fragen sollten unterschiedliche Standpunkte und auch Antworten zulassen, die nebeneinander stehen bleiben können. Wenn der Politikwissenschaftler und Philosoph das sagt, kommt ihm ein Gedanke, den der trotz seines Namens liebenswürdige Herr Grantig unter „b“ wie „bissig“ einsortieren würde: „Im Schulkontext gibt es oft nur eine richtige Antwort, und als Schüler weiß ich, dass es nur diese eine gibt. So erfährt die Lehrkraft etwas, was sie schon weiß. Und nicht das, was ich denke.“ Dabei, sagt Rude, könnten Lehrer doch mühelos in jedem Fach das philosophische Fragen einbauen.
Es ist normal, unterschiedlich begründete Standpunkte nebeneinander stehen zu lassen.
Beim Philosophieren üben die Kinder aktives Zuhören, Argumentieren, das Wechseln von Perspektiven (Was würde deine Oma sagen?), das Fragen im Sinne eines Zweifels (muss das so sein, würden das alle so sehen?), das Aufdecken von Mehrdeutigkeiten, das Herstellen von Zusammenhängen, das Hinterfragen. Sie erfahren, dass es normal ist, unterschiedlich begründete Standpunkte nebeneinander stehen zu lassen, nicht überzeugen wollen, recht haben zu müssen, wie es in jeder Talkshow allabendlich vorgeführt wird. So wächst Selbstvertrauen. Und irgendwann wird die Gedankensaat aufgehen. Wie im heizbaren Gewächshaus von Herrn Grantig.
Artikel aus dem Magazin des BLLV von Christian Bleher. Zum ganzen Magazin geht es hier.
Interview mit dem Münchner Kirchenradio
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