Workshop P4C – Bericht aus New York
Fortsetzungsbericht – 12th Biennial Conference of the North American Association for the Community of Inquiry (NAACI)
New Jersey, Montclair State University
V. und letzter Teil: Der Workshop
Nach drei Tagen Konferenz verabschiedeten sich die meisten Teilnehmer von den Montclair Heights. Ein kleinerer Kreis aber blieb, um gemeinsam mit David Kennedy und Maughn Gregory intensiv in einem zwei Tage dauernden Workshop nach allen Regeln der p4c zu philosophieren…
Traditionell steigen die p4c-ler mit Texten ins philosophische Gespräch ein. Am ersten Tag über diese Geschichte:
The Battle Between The Hands
Jam tarts! Yum-yum tarts! A plate full! / Marie has eaten a whole big jam tart, mm … / There’s one big jam tart left over. It’s the last one. / The other children have gone into the garden. Marie is alone in the room. / Marie’s eyes glare at the tart. / Marie’s left hand goes forward very slowly. / It’s as if Marie doesn’t know that her left hand is going forward. / Her left hand shifts right towards the big jam tart./ And, just as the left hand is about to take the jam tart, it happens. / Slap! / Marie’s right hand shoots out and slaps the middle of the left hand. / The right hand seems to say: „Marie don’t do that!“ / Can a right hand say something to a left hand? /That’s not possible, is it? / But that’s what happened. / The left hand wants to take the jam tart. The right hand doesn’t want the jam tart to be taken, and it works: the right hand shoots out to stop the left hand. / There’s just one thing that Marie does not understand. / The right hand and the left hand are both Marie’s hands, aren’t they? / Then how can they argue? (by Berrie Heesen)
Und das sind die Fragen, die im Anschluss aus der Gruppe heraus entwickelt wurden:
Can we control our body? How many am I? Can you know yourselve? Are we ever alone? Is the inner conflict between desire and authority always produceful/good? How do we know wich inner voice to trust? Who/what makes the right RIGHT? Who is managing our mind? …
David Kennedy gab uns als Moderator des Gesprächs ungewohnt freie Hand. Es wurde nicht festgelegt, über welche Frage wir philosophieren würden. Nach etwa 20 Minuten, in denen es um die verschiedenen Aspekte und Fragen ging, die wir eingangs gefunden hatten, forderte jemand eine Abstimmung: was ist nun der Gegenstand des Gesprächs, worauf fokussieren wir uns? Welche Frage wollen wir zuerst behandeln? David Kennedy war nicht für eine Abstimmung, seiner Meinung nach war die Gruppe bereits mitten im philosophischen Gespräch, die Abstimmung kam seiner Ansicht nach schon einer unnötigen „Regulierung“ nah. Das Bedürfnis einiger Teilnehmer nach mehr Klarheit gewann trotzdem an Ausdruck und schließlich wurde eine Frage bestimmt (aber nicht in die Mitte gelegt). Kennedy hakte an bestimmten Stellen nach, ansonsten war das Gespräch wie ein junger Fluss, der sich den Weg zwischen Felsen hindurch sucht. In der Reflexion betonte Kennedy, dass die Gesprächsleitung, engl. „facilitator“, kein Polizist sei, der auf Einhaltung von Regeln oder über die Richtung des Gesprächs zu wachen habe. Die Rolle des Fascilitator sei vielmehr, den Tendenzen des Gesprächs nachzufühlen und ihnen mit Zwischenfragen auf den Grund zu folgen.
David Kennedy: „I just follow you, that’s what I always do. I have this mystik believe that the argument is bigger than all of us. The facilitator should not become a police man saying how this relate to that.“
Ein anderes philosophisches Gespräch fand unter der Leitung von Maughn Gregory statt. Seine Moderation schien uns vertraut, Nachfragen und Zusammenfassen außerdem Tendenzen aufspüren und neue Impulse dazu geben, um in die Tiefe zu gehen, das waren die häufigsten philosophischen Tätigkeiten. Eingestiegen sind wir über die Geschichte von William Steig, der auch den Shrek erfunden hat: „Yellow and Pink“ – auf deutsch unter dem Titel „Gelb und Rosa“ erschienen.
Das ist Maughn, der möglicherweise nächstes Jahr anlässlich des 10-Jährigen Akademie-Geburtstages nach München kommt:
Part IV: Blick über den Zaun – die Nachbarn
Interessant war insbesondere, was die Universitäten Graz und Hamburg in New Jersey aus dem Forschungsbereich Kinder (und Jugend) philosophieren vorstellten:
Die Universität Hamburg hat vor einiger Zeit einen „Arbeitskreis Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen“, gegründet, um Studierenden einen Abschluss in „Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen“ zu ermöglichen. Zu den Mitgliedern zählen u.a. Barbara Brüning, Ekkehard Martens sowie Kerstin Michalik (Fakultät für Erziehungswissenschaften), die in Montclair als Referentin auftrat. Sie berichtete über Erfahrungen und Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung („Philosophizing with Children as an Element of Teaching and Learning“). Hier geht es einerseits darum, das Verständnis für die Ideen und Welt-Wahrnehmung der Kinder zu vertiefen, andererseits herauszufinden, welche (Aus)Wirkung das Philosophieren auf Verhalten und Haltung bei Kindern, aber auch bei Lehrer*innen hat. (Ekkehard Martens und sein theoretischer Ansatz von der Philosophie als einer „lehr- und lernbaren Kulturtechnik“ wird im Rahmen eines Workshops zur „Jubiläumsreihe 10 Jahre Akademie“ im April 2017 zu erleben sein.)
Daniela Camhy von der Uni Graz (Institut für Philosophie) berichtete u.a. über ein EU-Projekt, das in einer Fortbildung am von ihr gegründeten Institut für Kinder- und Jugendphilosophie in Graz aufgegangen ist: PEACE beschäftigt sich mit globaler Migration und dem Umgang mit den gesellschaftlichen Folgen: Wie begegnen wir einander, was wissen wir voneinander, wie können wir uns verstehen oder verständigen und wie für einander sorgen? Philosophieren als Weg zur interkulturellen Verständigung wird auch ein Thema sein, wenn Daniela Camhy im Rahmen unserer „Jubiläumsreihe“ im Februar 2017 nach München kommt.
Theoretisch liegen die verschiedenen Ansätze und Methoden, die auf der Konferenz vorgestellt werden, nicht weit auseinander. Die meisten Referenten beziehen sich auf Lipman und Sharp, haben deren Thesen vielleicht weiter entwickelt oder untersuchen die Wirkung von p4c. In der Praxis gibt es dagegen wahrscheinlich so viele Unterschiede wie Menschen, die mit der Idee bzw. der „Methodik“ Philosophieren arbeiten. Für die einen ist sie eine (unterschätzte, vernachlässigte) Kulturtechnik, für die anderen eine Form von hilfreichem Gespräch zur Analyse oder Findung von Ideen und Standpunkten, wieder andere sehen in der Methodik die einzige Möglichkeit für eine Zukunft der demokratischen Gesellschaft. Man wäre gerne dabei, wenn die Referenten mit den Kindern und Jugendlichen philosophieren…
Unsere Chance: Erleben kann man einige dieser Praktiken und Ansätze in der „Jubiläumsreihe 10 Jahre Akademie„.
Part III: British and American English
Great Britain hat europaweit in Sachen p4c (philosophy for children) die Nase vorn – das war unser Eindruck, als wir Lizzy Lewis kennen lernten. Sie ist bei Sapere (Oxford) für Entwicklung und Sponsoring von p4c in England zuständig. Sapere ist der Kurzname der Society for the Advancement of Philosophical Enquiry and Reflection in Education, wurde 1992 gegründet und ist mit einem 8-köpfigen Team und etwa 60 ausgebildeten Trainern in England unglaublich aktiv. Einen guten Eindruck von ihrer Arbeit bekommt man auf der Homepage.
Natürlich haben auf der Konferenz in New Jersey alle Englisch gesprochen. Wissenschaftlichen Vorträgen in einer anderen Sprache zu folgen, ist anfangs ganz lustig, aber wenig gewinnbringend. Nach drei Tagen (und Nächten) Dauer-English-Konversation kommen wir ganz gut mit, ein paar zentrale Begriffe schlagen wir nach. Auf der Konferenz sprechen alle von der Community of inquiry: … unsere philosophischen Runden eine „Gemeinschaft der Befragung“? Was hat inquiry mit Inquisition zu tun oder anders gefragt: wie muss das übersetzt werden? Was für eine Art community ist gemeint? Lest dazu den Artikel von Sapere über die Community of Inquiry, die in den United States und in England eine lange Tradition hat.
Was kommt als Nächstes? Fortsetzung folgt! – Part IV: Nachbarn
Das ging voraus:
Part II: Im Konferenzsaal
Gefrühstückt wird gemeinsam im Plenarsaal, auch Mittagessen wird hier oben serviert. Eigentlich muss man den siebten Stock tagsüber gar nicht verlassen, man könnte morgens mit dem Lift hinauf fahren und abends wieder hinunter. Draußen ist es ohnehin sehr heiß, ungewohnt zumindest für uns. Allerdings scheint unser Stockwerk als Kühlschrank für das gesamte Gebäude zu fungieren: Die Klimaanlage bringt alle Räume auf 15 Grad herunter, normal scheinbar für amerikanische Verhältnisse, denn trotz Hilferufen kommt niemand zum Reparieren. Verkehrte Welt: während draußen das Quecksilber auf hochsommerliche Temperaturen klettert, kauern drinnen fröstelnde (europäische) Zuhörer in ihren Stühlen, eingepackt in Anorak, Decken, Schal und dicke Socken, und versuchen, Körpertemperatur und Kreislauf auf einem Level zu halten, das Denken zumindest möglich macht — .
Es gibt ein paar Präsentationen, die den üblichen Rahmen sprengen: entweder werden sie ohne Powerpoint vorgetragen (frei) oder sie sind dermaßen professionell, dass man nie mehr eine PPP selber machen möchte. Eine von der letzten Sorte war die von Daniel Anderson, der ein interaktives PC-Game (und eine entsprechend coole PPP) entwickelt hat, das Rollenspiel und Philosophieren zusammen bringt. Er arbeitet u.a. am Institute of Philosophy for Children in Vancouver und er fragte sich, wie man die Motivation, die von PC-Spielen ausgeht, für P4C nutzen könnte. Das Ergebnis probiert er nun mit Kindern in Sommercamps aus. Zu den ganz und gar PPP-freien Vorträgen gehörte diejenige von George Ghanotakis, Gründer des Institut Philos, ebenfalls aus Kanada. Er ist Autor verschiedener Bücher und Spiele (Anleitungen teils auf der Blog-/Website des Institut Philos), die er als Einstiegsmöglichkeiten für das Philosophieren mit Kindern produzieren ließ. Olivier Michaud aus Québec untersucht einstweilen die spirituelle Note des Philosophierens: „I came to realize that CPI (community of philosophical inquiry) was less a process of moving from a question or a problem to an answer or a solution, but rather as an experience of creating more problems and puzzlement regarding the subjects discussed. … Therefore, the goal … is to clarify how P4C can be considered as a spiritual practice and what there is to gain in engaging in CPI with that perspective in mind.” Spannend!
Was passiert als Nächstes? Fortsetzung folgt! – „Part III: British and American English“
Und das war schon:
Part I: Ankommen
Wir fliegen sechs Stunden gegen unsere Zeit. Nach Ankunft am einsamen Bahnhof Montclair State University (eine weiße Tüte taumelt über den Bahnsteig), beziehen wir oben am Campus ein extra spartanisches Zimmer im Studentenwohnheim. Wir denken uns einfach, Diogenes hat in der Tonne gelebt, und gleich sieht alles anders aus. Kein Mensch auf dem Gelände außer der Empfangsstudentin, später trudeln ein paar Teilnehmer ein und wir gesellen uns zu ihnen. Draußen auf den Stufen vor dem Wohnheim sehen wir uns den Sunset an: eine riesige Grapefruitsonne färbt den Himmel hinter den Hügeln von Montclair purpur und pink. Gigantisch – wir sind tatsächlich in New York. Wobei, die City sehen wir erst am nächsten Morgen: wir tagen in der University Hall, oben im 7. Stock, von hier aus hat man einen weiten Blick über die Marschen von New Jersey und den Hudson River bis ans andere Ufer. Was aussieht wie die Silhouette eines Urwalds, der sich am Horizont ausbreitet, ist in Wahrheit die Skyline von Big Apple…Darüber hat sich ein blaues Zelt gespannt, sonnendurchflutet mit ein paar Wolkenschäfchen, extra für die regendurchweichten und kälteempfindlichen Deutschländer. Der Abend verspricht viel.
Die Konferenz hat für drei Tage ein Programm mit über 60 Referentinnen und Referenten aufgesetzt. Die Eröffnung übernehmen Darryl DeMarzio (Pennsylvania) und Natalie Fletcher (John Abbott College, Montreal/Canada, founding director of Brila Youth Projects, sehenswerte Seite!). Die Referent/innen kommen aus allen Teilen der Welt: wir lernen Leute kennen aus Israel, Holland, Österreich, Italien und der Türkei, aus China, Kanada, verschiedenen US-Staaten und aus Mexico. Fast alle haben auch in verschiedenen Ländern der Welt gelebt oder sind aus anderen Ländern eingewandert. Ihr Thema verbindet sie alle: P4C (Philosophy for Children) oder, näher am Konzept der Akademie, Philosophieren mit Kindern. Die Kontexte sind dabei verschieden. Einige arbeiten an Universitäten und forschen über die Wirkung von P4C oder über die Bedeutung des Philosophierens für Kinder und die Zukunft der Bildungsarbeit. Manche arbeiten in Schulen oder Kindergärten und philosophieren in der Natur, im Matheunterricht, im Museum, vor Mahnmalen. Fast alle berufen sich auf die Theorien, die Matthew Lipman und Ann Margaret Sharp gemeinsam entwickelt haben (Interview 1992).
Wie geht es weiter? Fortsetzung folgt! – „Part II: Der Konferenzsaal“